Tanz der Sinne
Ich hab’ einfach… gespürt, daß ich dich finden muß.«
Er hatte gesagt, daß er einen sechsten Sinn für die Sicherheit seiner Schwester gehabt hatte.
Offenbar erstreckte sich seine Fähigkeit auch auf andere Frauen in Not. Und er hatte genau gewußt, wann er kommen mußte.
Sie schüttelte erstaunt den Kopf. »Kein Wunder, daß du Lucifer genannt wirst – dein Instinkt ist geradezu unheimlich. Gut, daß du auf meiner Seite bist.«
»Immer, Kit«, sagte er ruhig. »Daran darfst du nie zweifeln.«
Ihr Geliebter, ihr Beschützer. Mit fast schmerzlichem Verlangen klammerte sie sich an ihn. Sie wollte mit ihm verschmelzen, für immer in seiner Stärke und Güte Zuflucht finden. Eine Art Schauer durchfuhr sie, als ob die Wände, die einen Menschen vom anderen trennten, im Begriff waren, sich aufzulösen. Dann würde sie nie wieder imstande sein, sich von ihm zu befreien.
Qualvoll ermahnte sie sich, daß die Trennung nur um so schmerzhafter sein würde, je mehr sie sich jetzt an ihn klammerte. Sie mußte ihren sicheren Abstand wahren, nicht nur um Kiras, sondern auch um ihrer selbst willen.
Sie entzog sich ihm und fragte: »Tut dein Knöchel sehr weh?«
Sie machte den Fehler, ihn anzusehen, während sie sprach. Er wurde vollkommen regungslos, und das Lampenlicht beleuchtete seine Augen, aus denen das warme Gold gewichen war. Er hatte ihre Zurückweisung gespürt, und sie wußte genau, wie sehr sie ihn verletzt hatte.
Ohne daß sie ein Wort gesprochen hätten, geschah etwas zwischen ihnen. Eine Verhärtung, ein Mißtrauen, das die Barrieren zwischen ihnen wieder aufrichtete. Er hatte sich ihr geöffnet, aber sie hatte ihn abgewiesen, und sein Stolz würde ihm verbieten, es noch einmal zu tun.
Mit kühler, betonungsloser Stimme sagte er: »Er ist nur verrenkt. Morgen ist er wieder in Ordnung.«
Sie hob ihr Cape auf und schlang es um ihren zitternden Körper. Dann nahm sie seinen Hut und seinen Stock und reichte sie ihm. Diesmal wich sie seinem Blick aus.
Zwanzig Meter weiter weg war Henry Jones inzwischen aufgestanden und hatte sich den Staub abgeklopft. Sein Kinn begann anzuschwellen, und seine Lippe war blutig, aber er schien nicht ernsthaft verletzt zu sein. »Ihr Erscheinen war sehr willkommen, Mylord«, sagte er herzlich, ohne die Spannung zwischen Lucien und Kit zu bemerken. »Sie in Aktion zu sehen, war es beinahe wert, sich den Mantel ruinieren zu lassen.«
Lucien fuhr herum. Mit einer Stimme, die Granit zum Schmelzen gebracht hätte, fragte er: »Dürfte ich fragen, warum Sie nicht auf meine Kutsche gewartet haben?«
Kit merkte, daß er seinen Zorn über sie auf Henry übertrug. Hastig sagte sie: »Es war meine Schuld, Lucien. Ich dachte nicht, daß ich in Gefahr bin, deswegen habe ich darauf bestanden, zu Fuß zu gehen.«
Ohne sie zu beachten, starrte er den Detektiv aus schmalen Augen an.
Henrys Gesicht wurde nüchtern. »Ich habe keine Entschuldigung, Mylord. Ihre Ladyschaft wußte nicht, welches Risiko sie eingeht, aber ich hätte es wissen müssen.«
»Allerdings. Wenn Sie noch einmal so achtlos sind, werden Sie mehr von mir zu befürchten haben als von einer ganzen Bande von Straßenräubern.« Luciens Ton war immer noch unerbittlich, aber seine Miene entspannte sich, als der Detektiv seinen Irrtum freiwillig zugab. Er zeigte auf die Kutsche. »Soll der Fahrer Sie zu Hause absetzen, wenn er Lady Kathryn und mich nach Strathmore House gebracht hat? Sie können eine Fahrt bestimmt gebrauchen.«
»Vielen Dank für das Angebot, Mylord, aber das Gehen wird mir guttun.« Henry verzog das Gesicht, als er sich bückte, um seinen zerbeulten Hut aufzuheben. »Wenn man so oft in der Klemme gesteckt hat wie ich, findet man raus, was die alten Knochen in Gang hält.«
Der Detektiv wünschte Kit eine gute Nacht und ging.
Sobald er außer Hörweite war, sagte sie: »Wenn du glaubst, daß ich bei Kira nicht sicher bin, bring mich zu Tante Janes Haus. Der Schurke kann unmöglich wissen, wo sie wohnt.«
»Red keinen Unsinn«, sagte er schroff. »Du bleibst bei mir. Ich hätte dich nie aus den Augen lassen dürfen.« Er hielt ihr den Schlag auf und rief dem faszinierten Kutscher zu: »Hanover Square, bitte.«
Sie öffnete den Mund, um noch einmal zu protestieren, aber Lucien schnitt ihr das Wort ab.
»Versuch erst gar nicht, den Schaden zu erwähnen, den dein Ruf nehmen könnte. Du hast selbst gesagt, daß dir solche Bedenken fremd sind.«
Er stieg hinter ihr ein und schlug die Tür zu.
»Wenn du
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