Tanz der Sinne
Stehen. Sie versuchte, um Hilfe zu schreien, aber ehe sie einen Laut von sich geben konnte, legte er eine Hand auf ihren Mund.
Sein brutaler Griff drückte ihr den Kopf in den Nacken. Die Augen hinter der Maske waren stumpf wie Kieselsteine – die Augen eines Mannes, der einen Menschen ebenso bedenkenlos umbrachte wie eine Spinne. Hatte er bei Kiras Entführung geholfen? Wütend biß Kit in seine ledrigen Finger.
»Kleines Miststück!« Er versetzte ihr einen Hieb gegen die Schläfe, daß ihr schwindlig wurde.
»Wenn du das noch mal machst, tu ich dir wirklich weh.«
Über seine Schulter hinweg sah sie, daß Henry mit einem der beiden Männer rang, während der andere mit gezückter Pistole daneben stand, ohne schießen zu können. Dann verlor sie ihn aus den Augen, weil ihr Angreifer anfing, sie auf die Kutsche zu zu zerren. Sie wehrte sich verzweifelt, aber sie war ihm nicht gewachsen.
Eine zweite Kutsche bog in die Straße ein und ratterte auf sie zu. Mit übermenschlicher Anstrengung versetzte Kit ihrem Entführer einen Schlag mit der Handkante, der ihn am Hals traf.
Er gab ein gurgelndes Geräusch von sich, und sein Griff wurde schlaff. Sie riß sich los. Ihr Cape blieb in seinen Händen. Mit einem Stoßgebet, daß der Fahrer oder die Passagiere nicht einfach Reißaus nehmen würden, rannte sie auf das Gefährt zu und rief um Hufe.
Hinter ihr hörte sie die schweren Schritte ihres Verfolgers.
Die Kutsche blieb knirschend stehen. Noch bevor sie zum Stillstand gekommen war, öffnete sich der Schlag, und Lucien sprang heraus, seine Miene so wild wie die des gefallenen Erzengels, nach dem er benannt war. Er schrie: »Stell dich hinter mich, Kit!«
Sie gehorchte, und der andere Mann grinste gehässig. »So ein feiner Gentleman«, spottete er.
»Gecken wie dich eß ich zum Frühstück.«
Bevor er noch etwas sagen konnte, holte Lucien mit seinem Stock aus. Der schwere Goldknauf traf den Schädel des Halunken mit häßlichem Knirschen, und er ging zu Boden.
Mit tänzerhafter Grazie wirbelte Lucien herum und kam dem Bow Street-Detektiv zu Hilfe. Henry lag am Boden und der Mann mit der Pistole legte gerade auf ihn an, als Lucien die Waffe mit einem Stockhieb in den Rinnstein beförderte. Im gleichen Moment warf der dritte Mann sich auf ihn und riß ihn mit sich zu Boden.
Der Angreifer landete auf Lucien. Statt zu kämpfen, sprang er auf die Füße und schrie:
»Weg hier, Kameraden!« Er packte den Arm seines gestürzten Gefährten und zerrte ihn zu ihrer Kutsche.
Lucien stand auf und wollte ihnen nach, aber sein Knöchel versagte ihm den Dienst. Er stolperte, und währenddessen kletterten die drei Angreifer hastig in ihr Gefährt. Der Kutscher trieb die Pferde an, und sie verschwanden in Richtung Strand.
Lucien fluchte, als er auf die Füße kam. Dann drehte er sich um und humpelte zu Kit. »Bist du in Ordnung?«
»Ich glaube schon«, sagte sie zitternd. Sie machte einen zögernden Schritt auf ihn zu, dann noch einen. Einen Augenblick später lag sie in seinen Armen, und er preßte sie fast brutal an sich.
Jetzt, da die Gefahr vorüber war, wurden ihr die Knie weich. Sie verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter und fühlte, wie sein hämmerndes Herz sich allmählich beruhigte.
»Haben sie versucht, dich zu entführen?«
Als sie den Drang, in hysterische Tränen auszubrechen, unter Kontrolle hatte, sagte sie:
»Ich glaube schon. Das war kein normaler Überfall.«
Er strich ihr das zerzauste Haar aus der Stirn.
»Hast du einen von ihnen erkannt?«
»Ich bin sicher, daß kein Höllenhund dabei war.
Ich hatte das Gefühl, daß sie bezahlte Verbrecher sind.« Sie versuchte, sich an die vergangenen chaotischen Minuten zu erinnern. »Als der Große mich zur Kutsche gezerrt hat, habe ich mich gefragt, ob er das gleiche mit Kira gemacht hat.
Vielleicht war er an ihrer Entführung beteiligt und ich habe das irgendwie gespürt.«
»Mace und Nunfield haben das Theater während des zweiten Aktes verlassen. Möglicherweise hat einer von ihnen in dieser kurzen Zeit einen Überfall arrangiert. Wahrscheinlich wußte er, an wen er sich wenden muß.« Luciens Umarmung wurde fester. »Aber es ist genauso möglich, daß der Angriff nichts damit zu tun hat, daß du heute vor den Hauptverdächtigen aufgetreten bist. Es gibt einfach nicht genügend Beweise.«
Sie hob ihren Kopf und sah ihm ins Gesicht.
»Woher hast du gewußt, daß wir überfallen worden sind?«
Er zögerte mit seiner Antwort. »Ich wußte es nicht.
Weitere Kostenlose Bücher