Tanz der Sinne
»Ein Burgverlies würde zu Ihrem Bild von einem unterirdischen Gefängnis ohne Tageslicht passen.«
Sie verzog das Gesicht. »Sie haben recht. Selbst die komfortabelste Ausstattung kann diese Atmosphäre nicht vertreiben.«
Lucien war noch immer mit der Karte beschäftigt.
In der Nähe gab es einen Fluß, nicht ungewöhnlich für eine Burg. Was seine Aufmerksamkeit erregte, war das hartnäckige Gefühl, daß er diesen Ort kannte. Ein Bild schoß ihm durch den Kopf: er stand auf einer Anhöhe zwischen alten Steinmauern und sah auf einen gewundenen, mondbeschienenen Fluß.
Steinmauern und Mondlicht… »Zum Teufel, ich glaube, ich bin dort gewesen!« rief er. »Castle Raine muß der Ort sein, an dem die Höllenhunde ihre Messen abhalten.«
»Du warst auf einer von ihren berüchtigten Orgien?« sagte Michael mit gekrauster Stirn.
Kit hob den Kopf, und ihre grauen Augen wurden schmal, während sie auf Luciens Antwort wartete.
Er erinnerte sich an die hartgesichtige Hure und seine Verzweiflung, nachdem er ihr gestattet hatte, sich ihren Lohn zu verdienen. Er legte seinen Arm fester um Kits Schultern. »Rein geschäftlich, nicht zum Vergnügen.«
Sie entspannte sich wieder. Gut, daß sie so müde war, sonst hätte sie erraten, daß seine Antwort nicht ganz der Wahrheit entsprach. Lucien zog es vor, jene Nacht zu vergessen.
Jason sagte: »Wissen Sie, ob die Burg ein Verlies hat?«
»Ich habe nichts gesehen, aber es ist möglich.
Das Areal ist ziemlich groß. Man könnte beinahe alles, oder jeden, dort verstecken.«
Schweigen senkte sich über den Raum, bis Michael mit bedrohlicher Ruhe sagte: »Ich nehme an, daß wir Castle Raine einen Besuch abstatten.«
»Das tun wir«, sagte Lucien. »Aber zuerst gehen wir schlafen. Morgen früh statten Kit und ich Lord Ives einen Besuch ab. Er ist ein Höllenhund, aber wir können ihm trauen. Er kann uns bestimmt mehr über die Burg sagen.«
»Man kann nie genug über das Ziel einer Suchaktion wissen.« Müde fuhr Michael sich durch das kastanienbraune Haar. »Aber je eher wir nach Berkshire kommen, desto besser. Ein schlimmer Sturm ist im Anzug. Regen oder Hagel, glaube ich.«
»Dann brauchen wir eine Unterkunft in der Nähe der Burg. Ein Privathaus wäre besser als ein Gasthof.« Lucien klopfte auf die Landkarte. »Rafe hat ein kleines Haus in der Nähe von Basildon.
Der Mieter ist neulich gestorben, und es steht noch leer. Ich bin sicher, daß er es uns überläßt.
Wir können morgen nachmittag hinreiten. Nach der Suche können wir die Nacht dort verbringen, ohne den ganzen Weg nach London zurückreiten zu müssen.«
Trotz ihrer Müdigkeit war Kits Neugier geweckt.
Sie sagte zu Michael: »Sie können einen Sturm so genau vorhersagen, daß Lucien ihr Wort akzeptiert, ohne mit der Wimper zu zucken?«
»In der Schule haben mich alle den Regenmacher genannt. Schon als kleiner Junge habe ich immer gewußt, wann ein Sturm aufziehen und wie schlimm er sein würde.« Michael beugte einen Arm. »Meine Voraussagen sind noch besser geworden, seit ich eine Kugel in die Schulter bekommen habe.« Er stand auf und setzte hinzu:
»Allseits eine gute Nacht, zumindest, was noch davon übrig ist.«
Jason unterdrückte ein Gähnen. »Morgen ist Wintersonnenwende. Wenigstens haben wir noch ein paar Stunden Dunkelheit.«
Lucien stand auf, Kit immer noch in den Armen.
»Gute Nacht.«
Als er auf die Treppe zuging, protestierte sie. »Ich kann laufen.«
»Das bezweifle ich«, sagte er trocken. »Erinnerst du dich, wie erschöpft du bisher immer warst, wenn du mit Kira in Verbindung getreten bist?«
»Oh.« Sie gab nach, schloß die Augen und ließ ihren Kopf an seine Schulter sinken.
Wieder war er erschrocken, wie zerbrechlich sie wirkte. Arme, tapfere, müde Kit. Wahrscheinlich hielt nur noch ihre Willenskraft sie aufrecht.
Er trug sie in ihr Zimmer und setzte sie auf die Bettkante. Dann zog er ihr die Oberbekleidung aus. Sie ließ es geschehen. Als sie nur noch ihren Unterrock trug, schlug er das Bett auf. Bevor er ihr unter die Decke helfen konnte, legte sie ihm die Arme um den Nacken. »Bleib hier, Lucien«, sagte sie. »Bitte.«
Er zögerte. Die Versuchung war groß, aber…
»Ich möchte nur zu gerne, aber ich kann nicht versprechen, daß ich die angemessene Zurückhaltung aufbringe«, sagte er, bemüht, einen leichten Ton anzuschlagen. »Ich verstehe vollkommen, warum du den Wirrungen der Leidenschaft aus dem Weg gehen mußt, aber wenn ich in deiner Nähe bin, geht
Weitere Kostenlose Bücher