Tanz der Sinne
geweigert, eine Schußwaffe auch nur anzufassen, und jetzt war es zu spät, um schießen zu lernen.
Die Kapelle war eine undeutliche Silhouette vor dem Sturmhimmel. Auf halbem Wege keuchte sie und blieb stehen, die Finger an die Schläfen gepreßt.
»Was ist?« fragte Lucien leise.
»Sie ist hier.« Kits Stimme zitterte bei der Bestätigung, daß ihr Instinkt sie nicht getrogen hatte. »Sie ist wirklich hier!«
Jason gab einen Laut von sich, der bewies, wieviel Anstrengung seine lässige Haltung ihn kostete.
Michael fragte: »Können Sie die Richtung feststellen?«
Kit konzentrierte sich so, daß ihre Schläfen zu klopfen begannen. »Direkt vor uns, in der Nähe der Kapelle. Darunter, glaube ich.«
Mit hämmerndem Herzen rannte sie auf das Gebäude zu, ohne auf ihre Umgebung oder den Regen zu achten. Sie stand vor der Kapelle und suchte nach dem Türgriff, als Lucien rief: »Mach die Tür nicht auf. Ich sehe Licht.«
Sie sah auf den Boden. Er hatte recht.
Ebenso ungeduldig wie Kit sagte Jason:
»Wahrscheinlich nur der Wächter. Mit dem werden wir fertig.«
»Zweifellos«, erwiderte Lucien. »Trotzdem, suchen wir lieber nach einem anderen Eingang.
Ich glaube, an der rechten Seite gibt es eine Tür, die in den Festsaal führt.«
Sie umkreisten das Gebäude, bis sie sie gefunden hatten. Lucien machte sich am Schloß zu schaffen, so behutsam, daß Kit nichts hörte, obwohl sie keine zwei Meter entfernt stand. Ein schwaches Klicken, dann zog er die Tür auf und schlüpfte hindurch.
Er lauschte einen Moment und winkte den anderen zu, ihm zu folgen. Der Festsaal war ein großer Raum, in dem die Formen von Tischen und Stühlen undeutlich zu erkennen waren. Wortlos führte er sie auf das schwache Licht zu, das in der hinteren linken Ecke des Raumes schimmerte.
Am Eingang zum Festsaal berührte er Kits Schulter in einem schweigenden Befehl, zurückzubleiben. Jason blieb bei ihr, während Lucien und Michael durch den Gang, der in die Kapelle führte, schlichen.
Sie schienen endlos zu warten. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und zwang sich, ruhig zu bleiben. Dann, fast unhörbar im Geräusch des Regens, der gegen die Fenster prasselte, hörte sie einen erstickten Schrei und einen dumpfen Aufprall. Ein paar Minuten später kamen die Männer zurück, Michael mit einem brennenden Holzspan, den er benutzte, um die zwei Lampen anzuzünden, die Jason trug. Sie waren abgedunkelt und sandten nur einen schmalen Lichtstrahl aus, aber sie waren besser als die Dunkelheit.
»Alles in Ordnung«, sagte Lucien. »Es gab nur einen Wächter.«
»Ist er…« sagte Kit nervös.
»Er ist bewußtlos und gefesselt«, versicherte Michael. »Ich würde nie jemanden grundlos umbringen.«
Sie fragte sich, ob seine Nonchalance trockenem Humor entsprang. Nein. Er hatte in einer ganz anderen Welt gelebt als sie. Während die Männer begannen, die kleinen Räume und die Gänge hinter der Kapelle zu durchsuchen, ließ sie den Kopf sinken und horchte in sich hinein, um ihre Schwester ausfindig zu machen.
Sie keuchte, als es ihr gelang. Kiras Ausstrahlung war übermächtig – nicht nur durch ihre Nähe, sondern auch vor Panik. Kit versuchte, ihrer Schwester eine Botschaft zu senden, aber ohne Erfolg. Kira war zu verzweifelt, um die Anwesenheit ihrer Schwester zu spüren.
Kit hob ihren Kopf wieder. Fast unbewußt spürte sie ein dumpfes Vibrieren. Unfähig, es zu identifizieren, ging sie zu Lucien hinüber. »Was ist das für ein Geräusch?«
Er lauschte. An seinem Ausdruck erkannte sie, daß er es vorher nicht wahrgenommen hatte.
»Maschinen«, sagte er stirnrunzelnd. »So etwas wie ein Dampfkessel, glaube ich. Ein sehr großer.« Wenn Maschinen liefen, mußten andere Menschen hier sein. Kit hatte recht gehabt, es würde schwieriger sein als erwartet.
»Hier«, rief Jason leise.
Als die drei anderen bei ihm waren, öffnete Jason die Tür, die er entdeckt hatte. Stufen führten in einen beleuchteten Gang, und das Geräusch von singenden Stimmen erfüllte die Luft.
Behutsam schloß Lucien die Tür wieder. »Zum Teufel, die Jünger halten eines ihrer Rituale ab.«
»Heute ist Wintersonnenwende«, sagte Jason gepreßt. »Wahrscheinlich versuchen sie sich an irgendeinem heidnischen Brauch.«
Lucien dachte zurück. »Wahrscheinlich. Es war um die Mittsommernacht herum, als Ives Freund hier die Schreie gehört hat.«
»Haben die Druiden nicht Menschen geopfert?«
fragte Michael.
Kit stieß einen Entsetzensschrei aus und wollte die
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