Tanz der Sinne
war sie sicher.
Wenigstens vor den anderen Männern, der Graf selber war eine andere Sache.
Sie machte sich los, sobald sie die Bibliothek betreten hatten, und holte das Cape, das hinter dem Sofa versteckt lag. Als sie sicher von seinen Falten umhüllt wurde, schob sie die Vorhänge beiseite und öffnete die Flügeltür nach draußen.
Die Nachtluft war bitterkalt.
Leise sagte er: »Ich nehme an, daß ein Pferd oder eine Kutsche auf Sie wartet?«
Sie sah ihn an. Im Licht des Mondes war er von kühler, unirdischer Schönheit. Was wäre geschehen, wenn sie sich unter normalen, unkomplizierten Umständen getroffen hätten?
Wahrscheinlich hätte er sie überhaupt nicht bemerkt. »Keine Sorge, Mylord. Sie brauchen sich keine Gedanken mehr um mein Wohlergehen zu machen.«
Bevor sie ins Freie hinaustreten konnte, hielt er sie an den Schultern fest und zog sie an sich. »Ich heiße Lucien.« Dann küßte er sie mit besitzergreifender Gewißheit.
Wie schnell man sich an eine vorwitzige Umarmung gewöhnte, sich sogar danach sehnte.
Ihr Puls beschleunigte sich, als sie ihn wiederküßte. Sie wußte genau, daß sie weder diesen Augenblick noch diesen Mann je vergessen würde. Die Nähe, der sinnliche Kontrast zwischen nächtlicher Kälte und warmer Haut, der leise Hauch seines Atems an ihrer Schläfe, als er sie losließ – all das war ihr tief in die Seele gegraben.
»Ich frage mich, ob Ihr Name wirklich Jane ist«, sagte er nachdenklich. »Wahrscheinlich nicht, aber das spielt keine Rolle. Ich finde heraus, wer Sie wirklich sind.«
Seine Sachlichkeit war der beunruhigendste Aspekt dieses äußerst beunruhigenden Zusammentreffens. »Das werden Sie nicht«, erwiderte sie, während die Angst den Schleier von Sinnlichkeit hob, der sie umgeben hatte. »Noch einmal vielen Dank, Mylord, und leben Sie wohl.
In meinem Leben ist kein Platz für Sie.«
»Das läßt sich ändern«, sagte er mit absoluter Gewißheit. »Bis zum nächstenmal, meine Liebe.«
Sie schlüpfte hinaus in die Nacht. Ihr Herz bebte, als sie daran dachte, was er über »mit dem Wind tanzen« gesagt hatte. Der Ausdruck war eine Umschreibung für den Tod am Galgen, und das war nicht ausgeschlossen, wenn sie ihre kriminelle Karriere fortsetzte.
Aber die Worte beschrieben auch ihre Suche. Sie fühlte sich, als versuche sie verzweifelt, sich in der Luft zu halten, in einer Situation, in der der kleinste Fehltritt sie in den Abgrund schleudern konnte. Aus diesem Grunde war der
geheimnisvolle Graf gefährlich, denn er brachte sie aus dem Gleichgewicht. Sie hoffte inständig, daß ihre Wege sich nicht wieder kreuzten.
Zwischenspiel
Das schweigende Dienstmädchen mit der steinernen Miene kam. Das bedeutete, daß sie sich fertig machen mußte. Nachdem sie ihre gewöhnliche Kleidung abgelegt hatte, schlüpfte sie in ein durchscheinendes schwarzes Seidenhemd, das ihre Brüste unbedeckt ließ und kaum bis zu den Hüften reichte. Dann half die Zofe ihr in das schwarze Brokatkorsett und schnürte es so fest, daß sie; kaum atmen konnte.
Danach kamen die schwarzen Spitzenstrümpfe, die mit roten Bändern an dem Korsett befestigt wurden. Die langen Stiefel waren aus weichem schwarzem Leder, das wie angegossen an ihren Schenkeln lag. Sie waren maßgeschneidert, mit langen, dünnen Absätzen, in denen sie kaum gehen konnte.
Sie saß still, während die Zofe ihr hellbraunes Haar unter einer üppigen roten Perücke versteckte. Rouge machte ihre Lippen voller und zauberte hektische Röte auf ihre blassen Wangen.
Zuletzt kamen eine schwarze Halbmaske mit schrägen Augenschlitzen und lange schwarze Wildlederhandschuhe.
Sie stand auf und betrachtete sich im Spiegel.
Ganz schwarz, weiß und scharlachrot war sie eine Karikatur der Weiblichkeit mit einer winzigen Taille, die ihre Brüste, Hüften und fast anstößig langen Beine grotesk betonte. Die Zofe nickte zufrieden und ging.
Um sich innerlich auf ihre Aufgabe vorzubereiten, starrte sie das widerliche mechanische Spielzeug an, das man ihr gegeben hatte, und dachte an das, was sie zu tun hatte. Als sie bereit war, ging sie in den nächsten Raum und begann, die zahllosen Kerzen anzuzünden, die auf jeder geeigneten Fläche standen. Schließlich hatte der Raum den feurigen Schimmer eines Vorzimmers zur Hölle.
Bald würde er kommen. Sie hob die Peitsche auf und ließ sie versuchsweise einmal durch die Luft sausen. Perfekt. Alles war bereit für ihre Premiere. Trotzdem erstarrte sie, als der Schlüssel sich im
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