Tanz der Sinne
die Friedensverhandlungen bis zu Miss Austens jüngstem satirischen Roman.
Er genoß die Unterhaltung, aber seine versteckten Erkundigungen über Cassie James blieben fruchtlos. Fast alle hatten von der Schauspielerin gehört und zahlreiche Gäste sie auf der Bühne gesehen, aber niemand kannte sie persönlich.
Derlei war normal für Nachforschungen dieser Art, und er nahm sein Pech gelassen hin und ging in den angrenzenden Raum, der kleiner aber ebenso überfüllt war. Sofort tauchte Lady Graham neben ihm auf. »Kommen Sie, ich stelle Sie Lady Jane vor. Sie steht da drüben in der Ecke. Sie interessiert sich fürs Theater und kennt diese Schauspielerin möglicherweise.«
Lucien entdeckte Lady Jane sofort, denn sie überragte die Umstehenden fast um
Haupteslänge. Ihr rotes Haar war zu Bernstein verblaßt und mit Silber gesträhnt, aber sie war immer noch eine attraktive Frau.
Halb verdeckt an ihrer Seite stand eine junge Frau in einem grauen Kleid. Sie war leicht zu übersehen, denn ihr Blick war gesenkt, und sie hatte die farblose Art einer armen Verwandten.
Neben Lady Jane wirkte sie klein, aber sie mußte mehr als mittelgroß sein. Er hätte sie gar nicht bemerkt, hätte ihre Ruhe nicht in derartigem Kontrast zu den lebhaften Menschen um sie herum gestanden.
Die junge Frau trat zurück und wandte sich zur Seite, um nicht von einer enthusiastisch geschwenkten Hand getroffen zu werden. Sie hatte ein entzückendes Profil, edel wie das einer griechischen Münze…
Lucien blieb wie angewurzelt stehen. Nein, das war unmöglich, nicht schon wieder. »Das Mädchen da neben Ihrer Freundin«, sagte er gepreßt. »Ich glaube, ich kenne sie. Wer ist sie?«
»Welches Mädchen?« Lady Graham blieb ebenfalls stehen und sah in dieselbe Richtung. »Ach, Sie meinen Lady Kathryn Travers, Janes Nichte.
Natürlich ist sie eigentlich kein Mädchen mehr. Sie muß mindestens vierundzwanzig sein, hoffnungslos sitzengeblieben. Eine nette junge Frau, obwohl sie nie etwas zu sagen weiß. Ihre Eltern sind tot, und sie lebt jetzt bei Jane.«
Heiße Wut durchrann ihn. Er hatte gedacht, er wäre vor Überraschungen gefeit, was sie anging, aber die kleine Hexe hatte ihn wieder einmal überrumpelt. Ihre neueste Rolle übertraf sogar ihre eigenen intriganten Maßstäbe. Die Unverschämtheit: eine schamlose Schauspielerin gab sich als anständige junge Dame aus. Nicht nur das, sondern noch dazu als Mitglied der Aristokratie!
Wie immer war ihr Spiel vollkommen. Wenn er sie nicht so gut gekannt hätte – sie in seinen Armen gehalten und ihre lügnerischen Lippen geküßt –
hätte sie ihn womöglich getäuscht. Ihr Verhalten war so reserviert, daß sie ihm wie eine Unbekannte vorkam. Und doch war ihr Gesicht unleugbar das von Emmie und Sally und Jane und Cassie James.
Die Erinnerung daran, wie sie halbnackt und mit von Leidenschaft verschleiertem Blick neben ihm gelegen hatte, huschte ihm durch den Kopf.
Damals hatte er ihr vertraut, aber jetzt nicht mehr. Diesesmal würde er nicht so leichtgläubig sein.
Mit einer Stimme, die nur leichtes Interesse verriet, sagte er: »Natürlich, Lady Kathryn Travers. Ich habe sie zuerst nicht erkannt. Eine sehr zurückhaltende junge Frau. Aber ein scharfer Verstand unter der schüchternen Oberfläche.«
»Ich bin überrascht, daß Sie sie je getroffen haben«, meinte Lady Graham. »Wie Sie bestimmt wissen, ist die Familie sehr alt, aber die männlichen Travers sind schon immer für ihre Zügellosigkeit bekannt gewesen, und keiner von ihnen hat je einen Penny gehabt. Es war nicht genug Geld da, um Lady Kathryn eine Saison in London zu ermöglichen, und ihr jetziges Leben mit Jane ist sehr ruhig.«
»Nichtsdestotrotz hatte ich das Vergnügen, ihre Bekanntschaft zu machen.« Mit einem funkelnden, gefährlichen Lächeln bahnte er sich einen Weg durch die Menge. »Und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich mich freue, sie erneuern zu dürfen.«
Als sie die Gruppe in der Ecke des Raumes erreicht hatten, sagte Lady Graham: »Jane, ich möchte Ihnen einen Freund von mir vorstellen, Lord Strathmore. Lucien, Lady Jane Travers.«
Als Luciens Name erklang, fuhr Lady Kathryn herum, und ihr schlanker Körper erstarrte. Aber nur jemand, der sie so aufmerksam beobachtete wie er, bemerkte es, denn ihr Gesicht blieb ausdruckslos.
Lucien beugte sich über Lady Janes Hand und sprach die angemessenen Worte. Sie war beinahe so groß wie er, und ihre grauen Augen waren voll lebhafter Intelligenz.
»Was für ein
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