Tanz der Sinne
Selbst eine begnadete Schauspielerin würde ihre Identität nur schwer verleugnen können, wenn sie küßte. Er zog sie an sich und beugte sich über sie.
Ehe ihre Lippen sich berühren konnten, fuhr sie zurück und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. »Wie können Sie es wagen!«
Ja, sie war stark. Aber was ihn dazu brachte, sie loszulassen, war nicht Kraft, sondern der Unterton empörter Tugend in ihrer Stimme. Selbst die beste Schauspielerin konnte unmöglich so sehr wie eine beleidigte Jungfrau klingen.
Mit prickelnder Wange sah er Kathryn noch einmal gründlich an. Aber obwohl er seine ganze, wohlgeschulte Beobachtungsgabe einsetzte, sah sie immer noch genauso aus wie die doppelzüngige Schlange, die sein wohlgeordnetes Leben in ein Chaos verwandelt hatte. Nur in ihren klaren grauen Augen lag vielleicht mehr Verletzlichkeit, als er zuvor entdeckt hatte.
»Zwillinge sind nie wirklich identisch«, sagte er langsam. »Es gibt immer leichte Unterschiede, und in diesem Fall kann ich keinen entdecken.
Und glauben Sie mir, ich spreche als einer, der sie mit großer Aufmerksamkeit studiert hat.«
Sie errötete und zog den Kopf ein, als beschäme sie die Wärme in seinen Augen. »Seit ich denken kann, haben alle gesagt, daß Kristine und ich die ähnlichsten Zwillinge sind, die sie je gesehen haben« sagte sie stockend. »Aber glauben Sie mir, wenn Kristine hier wäre, wüßten Sie augenblicklich, wer von uns sie ist. Sie würden gar nicht merken, daß ich im Zimmer bin, denn sie besitzt die Art Feuer, die alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.«
»Viele Schauspieler haben diese Fähigkeit, und sie können sie nach Belieben abstellen«, sagte er wenig beeindruckt. Seine Augen wurden schmal.
»Als Lady Graham uns vorgestellt hat, haben Sie mich wiedererkannt, auch wenn Sie versucht haben, Ihre Reaktion zu überspielen.«
»Das war kein Erkennen, sondern Schreck«, sagte sie trocken. »Sie haben mich angestarrt wie eine Kakerlake.«
»Ganz bestimmt keine Kakerlake«, sagte er mit unwillkürlichem Lächeln.
»Ihre Miene hätte ausgereicht, jedes unschuldige weibliche Wesen in Angst und Schrecken zu versetzen.« Mit gesenktem Kopf stellte sie sich ans Feuer. »Ich weiß nicht, was zwischen Ihnen und Kristine ist, und ehrlich gesagt, ich will es nicht wissen. Mein einziger Wunsch ist, daß man mich in Frieden läßt.«
»Ich bin immer noch nicht davon überzeugt, daß Sie eine Schwester haben.« Er verschränkte die Arme und lehnte sich an die Wand, um sie nachdenklich zu betrachten. »Da Sie meiner Erfahrung nach eine glänzende Lügnerin sind, wird es stärkerer Beweise bedürfen als ihrer unbewiesenen Behauptungen.«
Sie hob den Kopf und warf ihm einen eisigen Blick zu. »Ich verstehe nicht, warum die Beweislast bei mir liegen sollte. Sie haben mich überfallen, nicht umgekehrt.«
Gott, wenn sie nun wirklich eine ahnungslose Unbekannte war, die ihn noch nie zuvor gesehen hatte? Ein bestürzender Gedanke. »Wenn Sie mir die Wahrheit sagen schulde ich Einen eine untertänige Entschuldigung.«
Der Schatten eines Lächelns zeigte sich in ihren Augen, als gefiele ihr die Aussicht. »Bereiten Sie sich auf eine Niederlage vor, Lord Strathmore.
Kristine ist ebenso real wie Sie.«
Je mehr sie sich entspannte, desto größer wurde die Ähnlichkeit zu der Frau, die er kannte. Und gleichzeitig geringer. Sie hatte den gleichen raschen Verstand, aber er war gepaart mit einer Reserve, die für ihn neu war. Natürlich, eine Schauspielerin konnte so etwas spielen.
Er würde mehr erfahren, wenn er sich versöhnlich gab. »Ich weiß, daß es unverschämt von mir ist, Lady Kathryn, aber wären Sie bereit, mir zu erklären, warum Sie und Ihre Schwester so unterschiedliche Leben führen?«
Nach diesem Beweis, daß er ihre Geschichte akzeptierte, entspannte sie sich noch mehr und setzte sich ans Feuer. »Eigentlich ist es ganz einfach. Mein Vater war der vierte Graf Markland.
Die Travers haben sich nie durch etwas anderes ausgezeichnet als durch Charme, Wildheit und einen Hang zu eineiigen Zwillingen. Der Familiensitz, Langdale Court, lag in Westmoreland.«
Er setzte sich ihr gegenüber. »Lag?«
Sie seufzte. »Mein Vater hat eine Menge Schulden geerbt und prompt einen Berg von eigenen hinzugefügt. Als wir Kinder waren, bröckelte das Haus um uns herum an allen Ecken und Enden.
Unsere Mutter starb, als wir zehn waren, und danach waren wir ganz ohne Aufsicht. Wenn sich nicht ein paar Damen in der Nachbarschaft um uns
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