Tanz des Lebens
Darum liebt er Zugfahren auch so.«
Liebevoll zog sie an seiner Baseballmütze, nahm ihm seinen Rucksack ab, befreite sich aus Liams Umarmung und griff gleichzeitig nach seinem Gepäck. »Geht ruhig schon vor. Luke brennt bestimmt schon darauf, dir seine Eindrücke zu erklären. Ich bringe die Sachen schnell alleine weg.«
Zögernd blieb Liam stehen und deutete mit einen Kopfnicken auf die vier Rucksäcke. »Wir können doch zusammen gehen«, sagte er eifrig. »Ich … äh …« Errötend stockte er und warf ihr einen scheuen Blick zu. »Ich meine, du musst das nicht alleine tragen. Ich helfe dir.«
Entschlossen griff er nach ihrem Arm, doch Faye schüttelte müde den Kopf. Sie mochte Liam. Seine Ernsthaftigkeit und seine rücksichtsvolle, liebe Art und auch seinen Beschützerinstinkt. Aber jetzt wünschte sie sich nichts sehnlicher, als für ein paar Minuten alleine zu sein. Seitdem sie das Siegel trug, wachte sie jede Nacht von den Alpträumen, die der Dämon ihr sandte, auf. Es zerrte an ihrer Energie und sie fühlte sich elend.
»Nein, bitte. Ich komme gleich nach, gib mir einfach fünf Minuten, okay.«
Von ihrem Abteil führte der enge Gang direkt zum letzten Waggon. Als Faye die gläserne Schiebetür öffnete, wehte ihr der laue Abendwind einschmeichelnd entgegen. »Komm her, Schwesterchen«, rief Luke, der neben Liam in einem der komfortablen, wuchtigen Drehsessel an der großen Panoramafensterscheibe saß, während Quin weit entfernt am bronzefarbenen Geländer lehnte und anscheinend mit niemandem etwas zu tun haben wollte.
»Es ist toll hier«, schwärmte Luke, »ich glaube, ich bleibe die ganze Nacht hier. Das Abteil hätten wir uns meinetwegen sparen können.« Liam grinste zustimmend und hob den Daumen.
»Na dann, viel Spaß, euch beiden.« Langsam steuerte Faye einen Sessel auf der anderen Seite an und ließ sich erleichtert hineinplumpsen. Sie war nicht in der Stimmung für lustige Plaudereien. Der Zug hatte sich mittlerweile in Bewegung gesetzt. Der Wind von dem kleinen geöffneten Fensterspalt spielte mit ihren langen Haaren, als Faye müde die vorbeiziehende Landschaft betrachtete. Wie still es hier war.
Zum Glück schienen sich die Touristen und Pendler lieber drinnen in ihren Kabinen oder im Speisesaal aufzuhalten, sodass sie den Aussichtswaggon für sich alleine hatten. Als sie ungefähr anderthalb Stunden unterwegs waren, beugte Faye sich neugierig vor. »Was sind das für helle Adern in dem roten Bergfelsen?«, fragte sie über ihren Rücken Richtung Liam.
Dieser kam sofort beflissen zu ihr, setzte sich in den Nachbarsessel und erklärte mit der Stimme eines gelehrten Professors: »Die Wissenschaftler haben die Felsen in den 50er Jahren untersucht und bei den Schürfungen vereinzelte Jadeadern in den Bergmassiven entdeckt. Seitdem nennen sie diesen Abschnitt The Green Mile.«
»Aha.« Faye verstummte wieder und lehnte sich zurück. Nach einiger Zeit durchdrang ein unterdrücktes Stöhnen die einlullende Stimmung. »Hey, Quin! Warum nimmst du keine Reisetabletten«, rief Luke ihm quer durchs Abteil zu. »Die helfen mir immer bei Schiffsreisen. Die vertrag ich nämlich auch nicht so gut.«
»Nein danke.«
»Bei Quin nicht«, seufzte Liam. »Davon muss er sich sofort übergeben. Meinem Bruder helfen keine Medikamente. Jedenfalls nicht beim Zugfahren und speziell nicht auf dieser Strecke.«
Die Würgegeräusche wurden lauter und Luke wandte sich erneut in Quins Richtung. »Aber ich habe eine neue Sorte in meinem Rucksack, die super gut verträglich ist. Warum probierst du sie nicht wenigstens? Faye kann sie dir holen.«
»Nein!«
Sprachlos über den schroffen Tonfall, mit dem er ihren Bruder zurückwies, drehte Faye sich wutentbrannt um. Quin stand immer noch am anderen Ende des Wagons und hing mehr, als dass er stand, über dem Geländer. Sofort eilte Liam an seine Seite und umarmte ihn mitfühlend. »Vielleicht hat Luke recht. Du kannst es doch wenigstens mal probieren, vielleicht helfen sie dir tatsächlich.«
»Fuck … verdammt noch mal. Welchen Buchstaben von dem Wort Nein versteht ihr nicht?«, knurrte Quin drohend. »Du weißt genauso gut wie ich, dass mir hierbei keine Medikamente helfen.«
Leicht schwankend verlagerte er sein Gewicht auf den anderen Fuß und schüttelte matt Liams Arm ab. Schließlich gab Liam auf und setzte sich wieder auf seinen Platz. Faye beobachtete Quin. Im Schein der Deckenspots wirkte sein Gesicht leichenblass. Das zynische Lächeln, mit
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