Tanz des Lebens
dem er sonst alle Menschen in seinem Umfeld bedachte, war wie weggewischt. Stattdessen spiegelte sich ein tief gequälter Ausdruck auf seinem Gesicht. Mit angehaltenem Atem bemerkte sie den Schmerz, der in seinen samtschwarzen Augen loderte.
Sein Atem ging stoßweise; schwankend und scheinbar nur unter großer Willenskraft hielt er sich am Geländer fest und schien krampfhaft um seine Selbstbeherrschung zu kämpfen. Zum ersten Mal wirkte er nicht wie der zornige, unnahbare Rebell. Hinter seiner sonst so ausdruckslosen Maske erkannte Faye jetzt Verletzlichkeit und tiefen Schmerz – und Blut, das jetzt heftig aus seiner Nase tropfte. Als Liam erneut auf ihn zusprang und mitleidig auf ihn einredete, wurde er von Quin unsanft zurückgestoßen, während die Blutstropfen in alle Richtungen spritzten.
Soviel zum Thema Menschlichkeit, dachte sie. Mitleid schien dieser merkwürdige Junge noch weniger als Freundlichkeit zu mögen. Na, dann nicht. Mit einem unterdrückten Seufzen erhob sich Faye, bedeutete Liam mit einer Geste, sich wieder hinzusetzten, riss Quins Hände vom Geländer und als er wankte, stützte sie ihn mit einem Arm.
»Tief durchatmen!«, befahl sie scharf.
»Geht schon wieder«, würgte Quin.
»Sicher.« Ohne sich von seiner schroffen Antwort beirren zu lassen, kramte sie in den Untiefen ihrer Umhängetasche nach der Packung Taschentücher, die sie nach ein paar Minuten zutage förderte. Danach nahm sie kurz den Arm von Quins Taille und begann, das Papiertuch zu zerreißen.
»Hau ab, Lunababe.« Er versuchte sie wegzustoßen, doch als er ihren Arm losließ, verlor er fast das Gleichgewicht und sackte schwankend zu Boden. Faye folgte ihm. Wortlos ließ sie sich neben ihm auf die Knie fallen, schlang einen Arm um seinen Nacken und stopfte ihm die zusammengeknüllten Tempotuchstreifen in die immer heftiger blutenden Nasenlöcher. »Leg den Kopf in den Nacken, du blutest den ganzen Teppich voll«, ordnete sie knapp an.
Überraschenderweise folgte er ihrer Anweisung und ließ seinen Kopf gegen die Waggonwand sinken. Resolut schüttelte Faye den restlichen Inhalt ihrer Tasche auf den Boden und fischte nach den Feuchtigkeitstüchern, die sie immer dabei hatte, und suchte den kleinen blauen Glasflakon mit Shivas streng geheimer Kräutertinktur, die angeblich gegen so gut wie alle Krankheiten half.
Als sie das Fläschchen gefunden hatte, verteilte sie ein paar Tropfen in ihrer Handfläche, beugte sich vor und begann seinen verkrampften Nacken zu massieren. Abwehrend packte er ihren Arm. »Wenn du genug Samariter gespielt hast«, stieß er mühsam hervor, »lässt du mich danach wieder in Ruhe?«
»Keine Sorge«, erwiderte Faye unbeeindruckt. »Glaub mir, Buddy, es gehört nicht zu meinen Hobbys, mich vor arroganten, unhöflichen Spinnern hinzuknien und mich von ihnen vollbluten zu lassen. Ich erspare dir nur eine teure Teppichreinigung.« Stille trat ein, danach ein tiefes Durchatmen. Einige Minuten später wurde der Griff auf ihrer Schulter fester.
»Lunababe?«
»Hmm.«
»Mein Kopf … meine Stirn tut entsetzlich weh …«, flüsterte er heiser.
Faye sah die große, muskulöse Gestalt, die jetzt zusammengekrümmt vor ihr auf dem beigen Teppich lag. Sein Brustkorb hob und senkte sich, als er rasselnd ausatmete und sie erkannte, dass ihn dieses Zugeständnis große Überwindung gekostet hatte. Wortlos erhob sie sich und öffnete das kleine Fenster neben der Panoramascheibe. Der Wind wirbelte ihre Haare durcheinander, als sie seinen Rücken vorbeugte, um sich vorsichtig hinter ihm auf den Boden zu setzen und ihre Beine neben den seinen auszustrecken.
Quin hielt die Augen geschlossen. Mit schmerzverzerrter Miene lehnte er seinen Rücken zurück und senkte schwer atmend seinen Hinterkopf an ihre Schulter. Nachdenklich legte Luke seinen Kopf schief. Mit seinem rechten Fuß schwang er den wuchtigen Drehsessel in ihre Richtung und bemerkte trocken: »Faszinierend. Für jemanden, der körperliche Berührungen jeglicher Art hasst und sie für eine ansteckende Krankheit hält, hält er sich ziemlich wacker.«
Faye sah ihren Bruder nur vorwurfsvoll an und bemerkte dabei Liams angespannte Miene. Er lächelte so schnell, dass sie glaubte, sie habe sich den enttäuschten Ausdruck auf seinem Gesicht nur eingebildet. Sehr sanft und behutsam strich sie Quin das zerzauste Haar aus seinem schweißnassen Gesicht. In zarten kreisenden Bewegungen massierte sie das Öl auf seine Stirn. Der Duft des ätherischen
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