Tanz im Feuer
Leben gerettet hatte, hatte er sich nicht wie ein Arzt oder auch nur ein Sanitäter verhalten. Außerdem hatte der Mann amTelefon keineswegs geklungen, als würde er für den ärztlichen Notdienst arbeiten. Dafür hatte er viel zu schroff nach Chad verlangt.
War Chad etwa ein gesuchterVerbrecher?Vielleicht war der Mann amTelefon ja ein Komplize gewesen, der ihn warnen wollte, bevor …
Mein Gott, Leigh, komm wieder auf den Boden, wies sie sich selbst zurecht. Natürlich war Chad kein gesuchterVerbrecher. Schließlich hätte die Polizei jeden in der Stadt fragen können, um seinen Aufenthaltsort herauszufinden. Nein, man konnte beim bestenWillen nicht behaupten, dass sich Chad verschwörerisch verhielt.
Trotzdem war es fast unmöglich, etwas über ihn zu erfahren, stellte sie fest. Nach ihrem gemeinsamen Mittagessen hatte sie versucht, ein bisschen mehr über ihn herauszubekommen. Sie hatte möglichst unauffällig ihre Mitarbeiter nach ihm ausgefragt, die Chad, der freundlichen Begrüßung nach zu urteilen, näher kennen mussten. Aber ihre Fragen stießen auf taube Ohren. Man hätte meinen können, die Männer hätten während der Mittagspause samt und sonders das Gedächtnis verloren. Sie behaupteten, nicht die leiseste Ahnung von Chads Beruf zu haben; dagegen erinnerten sie sich ausgezeichnet daran, was für ein guter Footballspieler er gewesen war.
Bevor sie es recht begriffen hatte, standThanksgiving – und damit ihre Eltern – vor derTür. LeighsVorschlag, sie könnte ja mit Sarah nach Big Spring kommen, war vehement abgewiesen worden.
»Hast du immer noch nichts dazugelernt?«, hatte ihre Mutter erbost gefragt. Leigh hatte denTelefonhörer vom Ohr weghalten müssen, so schrill war die Stimme ihrer Mutter plötzlich geworden. » R eicht es dir nicht, dass du dein Kind auf der Straße zurWelt gebracht hast? Und du kannst von Glück reden, dass dir dieser Mann zu Hilfe gekommen ist. Schlimm genug, dass wir kaum etwas über ihn wissen. Schließlich hätte er dich genauso gut töten oder weiß Gott was mit dir anstellen können!« Sie hörte, wie die Stimme am anderen Ende der Leitung zu beben begann. Auch wenn Leigh die Angst ihrer Mutter für übertrieben hielt, begriff sie doch, dass sie echt war.
Deshalb seufzte sie nur resigniert und erklärte sich damit einverstanden, dass ihre Eltern sie besuchten.
Sie brachtenTruthahn und Salat mit. So köstlich beides auch war, Leigh stocherte appetitlos in ihrem Essen herum. »Bedrückt dich etwas, mein Schatz?«, erkundigte sich ihrVater besorgt.
»Nein, nein«, wehrte sie mit aufgesetztem Lächeln ab. »Ich hoffe bloß, dass die ganzen Dekorationen auch bis Weihnachten halten. Sonst nichts.« Lügnerin, schalt sie sich insgeheim. In Wahrheit bedrückte sie Chad. Wo feierte er Thanksgiving? Feierte er es überhaupt? Wo steckte er nur?
Sarah war den ganzenTag über nervös und gereizt. Schon am frühen Nachmittag war Leigh vom ständigen Herumtragen undTrösten wie erschlagen.
»Wahrscheinlich bekommt sie ihre ersten Zähnchen«, erklärte Lois Jackson mit Inbrunst.
»Dazu ist sie noch zu jung, Mutter.«
Ihre Mutter warf ihr einen empörten Blick zu. »Du hast schon mit fünf Monaten den ersten Zahn bekommen, Leigh«, belehrte sie Leigh.
»Na ja, vielleicht hast du recht«, kapitulierte Leigh müde. Sie wollte sich nicht streiten. Sie wollte nur ihre R uhe haben und endlich wissen, was Chad machte. »Sie hatte in letzter Zeit auch öfters Durchfall.«
»Das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass sie zahnt.« Ihre Mutter nickte bekräftigend und nahm ihr Sarah ab, die sofort laut losheulte.
Zum Glück fuhren ihre Eltern am Spätnachmittag wieder heim. Leigh ging zu Bett, sobald sie die immer noch quengelnde Sarah in ihreWiege und endlich zum Einschlafen gebracht hatte. »Vermisst du ihn etwa auch?«, fragte sie ihre schlafendeTochter leise, während sie ihr ein letztes Mal liebevoll übers Haar strich.
Obwohl Leigh todmüde war, machte sie kein Auge zu. Stundenlang starrte sie die Schatten an der Zimmerdecke an und zerbrach sich den Kopf. Sie wusste so gut wie nichts über Chad Dillon. Dabei hatten sie gemeinsam etwas erlebt, was nur die wenigsten Menschen miteinander teilten. Schließlich hatte er ihr geholfen, ihr Baby zurWelt zu bringen.Trotzdem wollte es ihr einfach nicht gelingen, etwas über ihn oder seine Familie zu erfahren …
Sie schoss hoch und blieb kerzengerade sitzen. Seine Familie?War er womöglich verheiratet? Hatte er sie vielleicht von
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