Tanz ins große Glueck
überraschte. Wo Dawidow war, waren
gewöhnlich Frauen. Ruth spürte, dass er ihren Blick suchte.
Nick riss sich schnell von den Gästen los, kam mit der perfekt kontrollierten Eleganz eines Balletttänzers geradewegs auf Ruth zu und überreichte ihr eine rote Rose. Als sie die Rose entgegennahm, zog er ihre andere Hand an seine Lippen. Er sagte nichts, blickte ihr tief in die Augen, dann drehte er sich um und ging zu einem anderen Tisch.
Alles Theater, sagte Ruth sich, aber sie konnte nicht anders, als den Duft der Rose einzuatmen. Keiner konnte so gut wie Dawidow eine Rolle perfekt zu Ende spielen. Sie blickte Lindsay an und sah in ihren Augen Verständnis, aber auch Besorgnis. Hastig zwang sie sich zu einem strahlenden Lächeln.
"Wie war's jetzt mit dem Champagner?" fragte sie gespielt munter.
Ruth hatte kaum etwas gegessen und sich auch nur mit Mühe an der Unterhaltung rund um den Tisch beteiligt.
"Du hast eine Lücke hinterlassen", sagte Nadine irgendwann zu Lindsay.
Das unerwartete Kompliment erstaunte Lindsay. Nadine war eine energische Frau, die es als selbstverständlich hinnahm, dass jeder Tänzer Talent hatte. Sie erwartete von jedem das Allerbeste, und nur selten sah sie Lob als nötig an.
"Danke, Nadine."
"Es war kein Kompliment, sondern ein Vorwurf", entgegnete Nadine. "Du hast uns zu früh verlassen. Du könntest noch immer tanzen."
Lindsay lächelte. "Mir scheint, du hast genug junge Talente, Nadine. Deine Balletttruppe ist immer noch die beste im Land."
Nadine bestätigte es mit einem Nicken. Eine Weile sagte sie nichts, sah Lindsay nur an und nippte an ihrem Wein. "Kannst du dir vorstellen, wie viele ,Juliets' ich in meinem Leben gesehen habe, Lindsay?"
"Ist das eine Fangfrage?" Lindsay warf Seth einen amüsierten Blick zu. "Wenn ich sage, zu viele, dann beschwert sie sich, dass ich sie alt mache. Sage ich, zu wenige, dann beleidige ich sie."
"Versuch, den Mittelweg zu finden", schlug er vor und füllte das Weinglas seiner Frau erneut.
"Eine gute Idee." Lindsay wandte sich wieder Nadine zu.
"Viele", antwortete sie lachend.
"Das stimmt." Nadine setzte ihr Glas ab und legte ihre Hand auf Lindsays. "Du bist die Beste gewesen. Die allerbeste Balletttänzerin. Ich habe geweint, als du von uns weggingst."
Lindsay wollte etwas darauf erwidern, dann hielt sie sich aber zurück. Und sobald es ihr möglich war, verließ sie ihren Platz mit einem gemurmelten "Entschuldigt mich bitte" und eilte aus dem Raum.
Es gab eine weite Glastür, die auf einen Balkon führte.
Lindsay öffnete die Tür und trat nach draußen. Sie lehnte sich gegen das Geländer und atmete tief durch. Die Nacht war sternenklar mit einem runden Mond, der Manhattans Skyline in sein silbernes Licht tauchte.
Nach all den Jahren, dachte Lindsay. Vor zehn Jahren hätte ich alles getan, um diese Worte von Nadine zu hören. Alles hätte ich getan. Sie merkte, wie ihr eine Träne über die Wange lief, und schloss die Augen. Und jetzt...
Jemand legte eine Hand auf ihre Schulter, und Lindsay fuhr zusammen. Dann drehte sie sich um und sah Nick vor sich.
Einen Moment lang sagte sie nichts, lehnte sich an ihn und erinnerte sich. Sie war seine Juliet gewesen in einem anderen Leben, in einer Welt, die ein Teil von ihr gewesen war.
"Oh, Nick", murmelte sie. "Wie zerbrechlich wir doch sind, und wie dumm."
"Dumm?" wiederholte er und küsste sie auf die Haare.
"Sprich für dich selbst, Ptitschka. Dawidow ist niemals dumm."
Sie lachte und sah zu ihm auf. "Stimmt, das habe ich ganz vergessen."
"Wie dumm von dir." Nick zog sie zurück in seine Arme, und sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihre Wange an seine zu legen.
"Nick, ganz gleich, wie lange man weg ist, ganz gleich, wie weit man weg ist, alles bleibt in dir. Es ist nicht nur im Blut, es ist im Fleisch und in den Muskeln." Mit einem Seufzer entzog sie sich ihm. "Wann immer ich zurückkomme, will ein Teil von mir sofort wieder zum Ballettzentrum rennen, um mit euch allen von der Truppe Kontakt aufzunehmen. Es ist so tief verwurzelt."
Mit der Hüfte gegen das Geländer gelehnt, betrachtete Nick ihr Profil. Eine Brise wehte ihr das Haar zurück. Sie war eine der schönsten Frauen, die er kannte. Und doch schien sie sich ihrer attraktiven Ausstrahlung nicht bewusst zu sein.
"Vermisst du es wirklich so sehr?" fragte er.
"Es hat, glaube ich, weniger etwas mit vermissen zu tun", antwortete Lindsay nachdenklich. "Wohl mehr mit etwas hervorholen, was abgelegt ist. Um ehrlich zu
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