Tanz mit dem Engel
hinter einer Wolke, und es zog im Nacken. Die Vögel hielten still, warteten. Ein offener Lastwagen, hoch mit Bierkästen beladen, schepperte um den Platz und hielt vor einem italienischen Restaurant an einer der südlichen Ecken. Zwei junge Frauen gingen im Park an ihnen vorbei und blickten beide zu der Bank. Macdonalds Augen waren hinter der schwarzen Brille verschwunden. Er sieht aus wie ein Dealer, und ich sehe aus wie sein Kunde, dachte Winter. Wenn es nicht umgekehrt ist.
»Vertrauen? Ich glaube wohl«, sagte Macdonald. »Es sind Kriminalinspektoren, die Chefs der Technikereinheiten. In England sind Techniker sonst zivil, aber in London sind die Chefs Bullen. Es gibt nur zehn.
Wir nennen sie Laborinspektoren. Sie kommen mit ihren Leuten und ihrem Zeug zum Tatort. Es sind also dieselben Leute, die alle wirklich schwierigen technischen Untersuchungen durchführen. Sie kommen zu allen Orten des Verbrechens. Das schafft natürlich Kontinuität.«
»Hört sich gut an«, sagte Winter.
»Außerdem liegt das Labor in Kennington, und das ist südlich des Flusses«, sagte Macdonald schmunzelnd. »In seltenen Fällen fordern wir auch einen Pathologen zum Tatort an, besonders wenn es sexuelle Hinweise gibt.«
Sexuelle Hinweise, dachte Winter. Das klang wie ein Filmtitel.
»Wie lange müßt ihr euch voll damit befassen?« fragte er.
»Mit diesem Fall? Ich lasse ihn nicht fallen. Für meinen obersten Chef in unserem Bereich ist die Richtschnur, daß er uns zwölf Wochen gibt, je nachdem, was wir sonst noch zu tun haben. Wenn sich nichts Neues tut und wir keine neuen Anhaltspunkte bekommen, werfen wir den Fall nach zwölf Wochen in eine Schublade und machen uns an einen neuen. Aber wie ich bereits gesagt habe, lösen wir unsere Mordfälle im Südosten.«
»Im schlimmsten Fall wissen wir, wer es getan hat, aber wir können den Teufel nicht förmlich überführen«, sagte Winter.
»Wie das?«
»Wir wissen in unserem Herzen, wer es getan hat, aber der Apparat reicht nicht, um ihn zu Fall zu bringen.«
»Das macht einen zum Zyniker, was?«
»Nicht immer, man kann das Gefühl mit sich herumtragen daß man recht gehabt hat und daß früher oder später etwas passiert, was das letzte kleine Stück ergibt, nach dem man gesucht hat.« »Ja.«
»Dann ist man bereit, man ist immer bereit.«
»Allzeit bereit«, sagte Macdonald.
»Sind Sie Scout gewesen?« fragte Winter.
»Scout? In der Bedeutung... Boy-Scout, Pfadfinder? Oder Fahnder?«
»Boy-Scout.«
»Diese paramilitärische, versteckt faschistische Bewegung, die von dem südafrikanischen Rassisten Baden-Powell gegründet wurde? Nein, bei denen bin ich nicht gewesen.«
»Aber ich«, sagte Winter. »Da hat man gelernt, sich korrekt zu benehmen.«
»Und deshalb sind Sie als Erwachsener Kriminalkommissar geworden?«
»Natürlich.«
Es war wieder warm im Gesicht. Die Sonne befand sich zwischen zwei Gebäuden und würde binnen einer halben Stunde fort sein, in der Themse versunken. Macdonald nickte quer über den Platz, zur Greek Street hin.
»Dort liegt Milroy's, der weitbeste Laden für Malt-Whisky.«
»Ich weiß.«
»Natürlich.«
»Ich möchte, daß wir morgen in die Musikalienläden unten in Brixton gehen«, sagte Winter. »Ich muß diese Zeugen, die Sie vernommen haben, selbst hören.«
»Sie müssen allein hingehen«, sagte Macdonald, »ich schaffe es nicht.«
»Das ist nicht zulässig, ich bin nur als Beobachter hier.«
»Sie sind genauso sehr Polizist wie ich und englischer, als ich jemals sein werde, also wer könnte dagegen protestieren?«
»Dann sage ich, daß Sie dabei waren.«
»Sagen Sie, was Sie wollen.«
»Dann sage ich, daß heute mein Geburtstag ist«, sagte Winter.
Es war ihm gerade eingefallen, wie eine alte Erinnerung oder ein Name, der plötzlich im Bewußtsein auftaucht.
»Darf ich gratulieren? Um wie viele Jahre geht es?«
»Siebenunddreißig.«
»At the age of thirty-seven, she realised she'd never ride through Paris in a sportscar, with the warm wind in her hair«, sang Macdonald. »Oder so ähnlich.«
»Wer hat das festgestellt?«
»Lucy Jordan, haben Sie nie Ballad of Lucy Jordan gehört?«
»Nein.«
»Wo zum Teufel kommen Sie eigentlich her?«
»Jedenfalls nicht aus derselben Stadt wie Lucy Jordan.«
»Das ist ein Klassiker«, sagte Macdonald, »aber in der Version von Marianne Faithfull geht er einem durch und durch.«
»Von wem?«
»Marianne Faithfull. Eine singende Unschuld von dieser
Welt.«
»At the age of
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