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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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übermorgen Abreise sei. »Super«, sagte sie.
    »Kommst du mit dem Packen allein zurecht? Ich meine, was du mitnehmen willst – Badeanzug und so weiter?« fragte ich sie.
    »Wir fliegen doch bloß nach Hawaii«, sagte sie entgeistert. »Das ist, als würden wir nach Ôiso fahren. Wir reisen doch nicht nach Katmandu.«
    »Wenn du meinst«, sagte ich.
    Dennoch hatte ich vor der Abreise noch allerhand zu erledigen. Am nächsten Tag ging ich zur Bank, um Bargeld abzuheben und Travellerschecks zu besorgen. Es war genügend Geld auf dem Konto, denn mein Honorar vom letzten Monat war bereits eingetroffen. Dann ging ich in eine Buchhandlung und kaufte mir Reiselektüre. Anschließend holte ich bei der Reinigung meine Hemden ab. Zu Hause räumte ich den Kühlschrank auf. Um drei rief Freitag an. Er sei jetzt noch in Marunouchi, ob er gleich vorbeikommen könne, um die Tickets abzuliefern. Ich verabredete mich mit ihm in der Cafeteria im Parco-Kaufhaus. Er überreichte mir einen dicken Umschlag, in dem sich meine Auslagen für Yukis Rückflug aus Hokkaido, zwei First-Class-Tickets nach Hawaii mit JAL, zwei Hefte American-Express-Travellerschecks sowie eine Lageskizze des Apartmenthotels in Honolulu befanden.
    »Sie brauchen nur Ihren Namen zu nennen, wenn Sie dort ankommen«, erklärte Freitag. »Die Zimmer sind für zwei Wochen reserviert, aber Sie können Ihren Aufenthalt nach Belieben verkürzen oder verlängern. Hemmungslos, sozusagen. Es läuft alles unter Spesen, lässt Herr Makimura Ihnen ausrichten.«
    »Das fällt alles unter Spesen?«, fragte ich verwundert.
    »Nun, alles vielleicht nicht, aber das, wofür Sie Quittungen erhalten, lässt sich durchaus absetzen. Bewahren Sie die Quittungen bitte nach Möglichkeit auf. Ich verwerte sie dann«, sagte Freitag amüsiert. Sein Lächeln war nicht hämisch.
    Ich versprach es ihm.
    »Na, dann gute Reise, und passen Sie auf sich auf«, wünschte er mir.
    »Danke«, sagte ich.
    »Sie reisen nach Hawaii«, sagte er noch grinsend, »und nicht nach Simbabwe.«
    Jeder hatte offenbar seine eigene Floskel dafür.
    Gegen Abend durchstöberte ich den Kühlschrank nach Zutaten für ein Abendessen. Es reichte noch für einen Salat, ein Omelett und Miso-Suppe. Die Vorstellung, am nächsten Tag nach Hawaii zu fliegen, bereitete mir ein komisches Gefühl. Genauso hätte ich mich gefühlt, wenn Simbabwe das Ziel gewesen wäre. Aber vielleicht lag es daran, dass ich nie in Simbabwe gewesen war.
    Dann packte ich ein paar Sachen in eine kleinere Reisetasche: einen Kulturbeutel mit Toilettenartikeln, Bücher, Unterwäsche und Strümpfe zum Wechseln, Badehose, Sonnenbrille, Sonnencreme, T-Shirts und zwei Polohemden sowie ein Schweizer Militärtaschenmesser. Das karierte Sommerjackett aus Baumwolle legte ich zusammengefaltet ganz obenauf und zog den Reißverschluss zu. Ich checkte Reisepass, Travellerschecks, Führerschein, Flugtickets und Kreditkarten. Hatte ich noch etwas vergessen?
    Mir fiel nichts mehr ein.
    Man brauchte nicht viel für Ferien auf Hawaii. Genauso wenig wie für einen Trip nach Ôiso. Nach Hokkaido musste man schon weitaus mehr Zeug mitschleppen.
    Ich stellte die Reisetasche auf den Boden und legte die Sachen bereit, die ich am nächsten Tag anziehen würde: Bluejeans, T-Shirt, Segeljacke und einen dünnen Windblouson. Als ich damit fertig war, gab es nichts mehr zu tun, ich konnte nur noch Däumchen drehen. Um die Zeit totzuschlagen, nahm ich ein Bad, trank ein Bier und schaute mir die Nachrichten an. Nichts Weltbewegendes. Der Wetterbericht kündigte schlechtes Wetter an, aber bis dahin wären wir ja glücklicherweise schon in Honolulu. Ich schaltete den Fernseher aus und legte mich aufs Bett, nachdem ich mir ein neues Bier geholt hatte. Ich dachte an May. Tot – definitiv, für alle Zeit. Eiskalt ist es dort, wo sie jetzt liegt, ohne Identität. Ohne Kundschaft. Ohne Dire Straits und Bob Dylan. Und ich fliege nach Hawaii, auf Kosten eines fremden Spesenkontos. Ist das der gerechte Lauf der Welt?
    Ich schüttelte den Kopf und versuchte, Mays Bild aus meinen Gedanken zu verscheuchen. Vorläufig zumindest. Es war ein quälendes Thema. Zu quälend und zu heikel.
    Stattdessen dachte ich an meine Freundin von der Rezeption des Dolphin Hotel. Die mit der Brille, deren Namen ich nicht kannte. Seit einigen Tagen verspürte ich ein starkes Verlangen, mit ihr zu reden. Ich hatte sogar von ihr geträumt. Aber wie sollte ich mich bei ihr melden? Ich konnte doch nicht am Telefon

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