Tanz mit dem Schafsmann
führen. Aber nein, die Agentur hat mich in der Hand. Wie ein Anziehpüppchen. Und ich muss alles stillschweigend über mich ergehen lassen, da die Kredite mich binden. Niemand schert sich darum, was ich gerne möchte. Ich lebe in einer Luxuswohnung in Minato-ku, fahre einen Maserati, trage eine Patek-Philippe-Uhr und schlafe mit Edelnutten. Manche Leute beneiden mich vermutlich darum. Aber mir kann das ganze Zeug gestohlen bleiben. Solange ich dieses Leben weiterführe, werde ich nicht das bekommen, was ich wirklich will.«
»Zum Beispiel Liebe.«
»Ja, zum Beispiel Liebe. Ein friedlicher Alltag. Eine intakte Familie. Ein bescheidenes Leben«, fuhr er fort und faltete die Hände vor dem Gesicht. »Begreifst du? Ich hätte es haben können, wenn ich nur gewollt hätte. Ungelogen. Das ist keine Prahlerei.«
»Ich weiß, dass du kein Angeber bist. Es ist wahr«, sagte ich.
»Wenn ich etwas in Angriff genommen habe, hat es geklappt. Ich hatte zahlreiche Möglichkeiten, Gelegenheiten und Fähigkeiten. Aber letzten Endes bin ich zu einer bloßen Marionette geworden. Ich bekomme fast jede Frau, die sich nachts hier herumtreibt, ins Bett. Ich schwöre es dir. Aber mit der Frau, die ich tatsächlich möchte, ist kein Zusammenleben möglich.«
Gotanda war ziemlich betrunken. Man sah es ihm zwar nicht gerade an, aber er war redseliger als gewöhnlich. Ich konnte seine Gemütsverfassung jedoch gut verstehen. Es war bereits Mitternacht, und ich fragte ihn, ob er das wisse.
»Ja, morgen habe ich erst am Mittag einen beruflichen Termin. Ich habe also Zeit. Wie steht’s mit dir? Störe ich dich auch nicht?«
»Für mich ist es okay. Ich habe nach wie vor nichts zu tun«, erwiderte ich.
»Tut mir leid, dass ich dir so auf die Pelle rücke, aber ich habe sonst niemanden zum Reden, ehrlich. Alle würden mich für übergeschnappt halten, wenn ich erzählen würde, dass ich statt einem Maserati lieber einen Subaru fahren würde. Sie würden mich sofort zu einem Psychoanalytiker schleppen. Das ist ja inzwischen salonfähig. Unglaublich. Ein Psychiater, der aufs Showbusiness spezialisiert ist, kommt mir vor wie ein Reinigungsexperte für Kotze.« Er schloss einen Moment die Augen. »Ach, jetzt habe ich dir schon wieder die Ohren voll gejammert.«
»Du hast ziemlich oft ›Scheiße‹ gesagt.«
»Wirklich?«
»Sprich dich ruhig aus, wenn dir danach ist.«
»Nein, genug davon. Tut mir wirklich leid, dass ich diesen ganzen Müll hier ablade. Aber all diese gottverdammten Idioten, nichts als Scheißtypen um mich herum. Es ist einfach zum Kotzen. Mir steht das Ganze bis hier.«
»Na, dann spuck’s aus.«
»Es wimmelt nur so von diesen Arschlöchern.« Gotanda schleuderte die Worte aus sich heraus. »Blutsauger der Großstadt, die andere Leute Begierden ausbeuten, um sich am Leben zu erhalten. Natürlich sind nicht alle verdorben, ein paar Ausnahmen gibt es noch. Aber die meisten sind Arschlöcher. Aalglatte Typen, die sich überall geschickt hindurchlavieren, ihre Position dazu benutzen, um an Geld und an Frauen zu kommen. Hässliche, fette Ärsche, die sich groß aufspielen. Das ist mein Milieu. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel Idioten da rumlaufen. Hin und wieder bin ich gezwungen, mit denen saufen zu gehen. Dann muss ich mich ganz schön zusammenreißen, dass ich nicht den Kopf verliere und ihnen an die Gurgel gehe. Diesen Abschaum umzubringen wäre die reinste Energieverschwendung.«
»Warum nicht gleich mit einer Eisenstange? Erwürgen dauert viel zu lange.«
»Da hast du Recht«, sagte Gotanda. »Aber ich möchte sie lieber erwürgen. Einen schnellen Tod hätten sie nicht verdient.«
»Stimmt auch wieder«, sagte ich. »Treffendes Argument.«
»In Wirklichkeit haben wir …« Gotanda unterbrach sich und seufzte. Dann faltete er wieder die Hände vor dem Gesicht. »Jetzt ist mir schon viel wohler.«
»Das freut mich«, sagte ich. »Wie König Midas mit den Eselsohren. Du buddelst ein Loch in die Erde und brüllst hinein. Es tut gut, sich mal auszusprechen.«
»Ganz meine Meinung.«
»Wie wär’s mit einer Schale Reisbrühe?«, fragte ich.
»Gern.«
Ich kochte Tee, gab getrocknete Nori-Algen, Salzpflaumen und Wasabi-Meerrettich in zwei Schälchen und goss den Tee darüber. Schweigend schlürften wir unsere Suppe.
»Aus meiner Sicht verstehst du es, das Leben zu genießen«, sagte Gotanda.
Ich lehnte mich an die Wand und lauschte dem Plätschern des Regens. »Na ja, hin und wieder gelingt es mir
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