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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Übersetzungsagentur angefangen, und im Laufe der Zeit hatten die Aufträge dann immer mehr zugenommen. Wir waren zwar nicht gerade die dicksten Freunde, aber ein relativ gutes Team. Obwohl wir jeden Tag aufeinander hockten, gerieten wir uns nie in die Haare. Er war wohlerzogen und ruhig, und auch ich mochte keinen Streit. Wir hatten zwar unsere Differenzen, respektierten einander jedoch bei der Arbeit. Schließlich trennten sich unsere Wege, vermutlich zum optimalen Zeitpunkt. Nachdem ich überraschend ausgestiegen war, kam er auch ohne mich gut zurecht. Besser denn je, würde ich sagen. Sein Leistungsvermögen steigerte sich, und damit expandierte auch sein Unternehmen. Er stellte neue Leute ein und verstand es, alles aus ihnen herauszuholen. Auch psychisch wirkte er seit dem Alleingang viel stabiler.
    Vermutlich war ich derjenige, der Probleme hatte. Irgendetwas in mir musste einen schädlichen Einfluss auf ihn ausgeübt haben. Was auch erklären würde, weshalb er nach meinem Austritt viel unbefangener wurde. Mit Schmeicheleien und gutem Zureden brachte er seine Leutchen auf Trab; schäkerte mit seiner Buchhalterin, indem er abgedroschene Scherze machte. Angeödet schleppte er seine Kunden in Ginza-Clubs, nur um Spesen zu verjubeln. In meiner Gegenwart würde er sich wahrscheinlich eher gehemmt fühlen und es deshalb nicht so gut hinkriegen. Er war nämlich stets darum besorgt gewesen, wie ich ihn sah, was ich über ihn dachte. So war er eben. Um ehrlich zu sein, es hatte mich eigentlich herzlich wenig gekümmert, was er neben mir trieb. Ein Glück, dass er jetzt auf sich gestellt war. In jeder Hinsicht.
    Kurzum, ohne mich konnte er endlich seinem Alter gemäß auftreten. Dem Alter gemäß. Als ich das aussprach, hatte ich das Gefühl, es beträfe nur andere.
    Um neun läutete erneut das Telefon. Ich erwartete eigentlich keinen Anruf mehr und konnte das Klingeln erst gar nicht einordnen. Es war jedoch eindeutig das Telefon. Beim vierten Mal hob ich ab.
    »Sie haben mich heute im Foyer die ganze Zeit beobachtet, nicht wahr?« Es war meine Freundin von der Rezeption. Sie klang nicht gerade verärgert, aber auch nicht erfreut. Ihre Stimme verriet keine Regung.
    »Stimmt«, gab ich zu.
    Am anderen Ende herrschte eine Weile Stille.
    »Es macht mich ganz nervös, wenn mir jemand bei der Arbeit zuschaut. Mir ging währenddessen alles schief.«
    »Tue ich nie wieder«, versprach ich. »Ihr Anblick sollte mich ein bisschen aufmuntern. Ich wollte Sie nicht nervös machen. In Zukunft nehme ich mich in Acht und sehe Sie nicht mehr an. Wo stecken Sie gerade?«
    »Zu Hause. Ich werde jetzt ein Bad nehmen und dann ins Bett gehen. Sie haben Ihren Aufenthalt verlängert, stimmt’s?«
    »Mhm. Meine Angelegenheiten halten mich noch auf.«
    »Aber bitte starren Sie mich nicht mehr so an. Das ist mir sehr unangenehm.«
    »Nein, ich verspreche es Ihnen.«
    Erneute Pause.
    »Glauben Sie, ich bin zu nervös? Ich meine grundsätzlich?«
    »Nun, wie soll ich das beurteilen? Das ist doch von Person zu Person verschieden. Ich denke, es macht jeden mehr oder weniger fahrig, wenn man angestarrt wird. Das ist nicht weiter besorgniserregend. Außerdem habe ich die blöde Angewohnheit, manchmal völlig unbewusst Dinge anzustarren. Ich glotze dann alles Mögliche an.«
    »Weshalb haben Sie diese Angewohnheit?«
    »Solche Marotten lassen sich schwer erklären«, erwiderte ich. »Aber ich reiße mich in Zukunft zusammen. Ich will doch nicht, dass bei Ihnen wegen meinem Geglotze alles schief geht.«
    Sie sagte nichts darauf, schien aber über meine Bemerkung nachzudenken.
    »Also dann, gute Nacht«, verabschiedete sie sich schließlich.
    »Gute Nacht«, sagte ich.
    Wir legten auf. Ich nahm ein Bad und machte es mir anschließend auf dem Sofa bequem, wo ich bis halb zwölf mein Buch weiterlas. Dann zog ich mich an und ging auf den Korridor hinaus. Ich lief von einem Ende zum anderen. Er war verwinkelt wie ein Labyrinth. In einer Nische am Ende des Ganges befand sich der Personalaufzug, verborgen vor den Blicken der Gäste. Folgte man dem Notausgang-Pfeil, kam man an einer Reihe von Türen vorbei, die nicht die üblichen Zimmernummern hatten. Dort befand sich in einer Ecke ein weiterer Aufzug, dessen Aufschrift – Nur für Lasten – die Gäste davon abhalten sollte, ihn versehentlich zu benutzen. Ich blieb ein Weilchen davor stehen, um zu schauen, ob er in Betrieb war. Er hielt die ganze Zeit im Erdgeschoss. So spät am Abend wurde er

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