Tanz mit dem Schafsmann
unvollkommene, unreflektierte Spezies. Und noch etwas: Angenommen, ich würde alle Hindernisse beseitigt haben und zu Yuki durchkommen, könnte sie meine Aktion ihrerseits vereiteln, indem sie mit den Worten »Keine Lust zu reden. Mach’s gut!« den Hörer aufknallt. Auch in diesem Fall käme kein Gespräch zustande. Es wäre nichts als eine einseitige Gefühlsbekundung.
Das Telefon macht in der Tat einen sehr aufgebrachten Eindruck.
Es wurmt sie (ich habe vorerst die weibliche Form gewählt, aber vielleicht ist das Telefon ja auch männlich), nicht als reine Idee unabhängig existieren zu dürfen. Wie ärgerlich, dass der Kommunikation unentschiedene, unvollständige Absichten zugrunde liegen. Diese Unvollkommenheit, Zufälligkeit und Passivität überfordert die Dame.
Ich stützte mich mit dem Ellbogen auf das Kissen, um mir das entrüstete Telefon anzuschauen. Es hatte überhaupt keinen Zweck. Ist doch nicht meine Schuld, sagte ich zu ihr. Kommunikation ist nun einmal so: unvollkommen, zufällig, passiv. Der Ärger kommt daher, dass sie sich als reine Idee begreift. Das liegt aber nicht an mir. Wahrscheinlich wurmt es sie überall, wo sie hinkommt. Dass sie allerdings in meine Privatsphäre gehört, mag ihren Verdruss um einiges steigern. Insofern fühle ich mich schon etwas verantwortlich dafür. Als würde ich, ohne es zu wissen, die Unvollkommenheit, Zufälligkeit und Passivität verstärken. Ich ziehe ihr gewissermaßen den Boden unter den Füßen weg.
Meine geschiedene Frau kam mir in den Sinn, die mich auch immer, ohne ein Wort zu sagen, vorwurfsvoll angestarrt hatte. Ich habe sie geliebt. Wir haben auch schöne Zeiten erlebt. Miteinander herumgealbert. Hunderte von Malen miteinander geschlafen. Alle möglichen Reisen unternommen. Doch hin und wieder hat sie mir auf diese Art und Weise zugesetzt. Meistens nachts. Subtil, aber unerbittlich. Sie hat mir meine Unvollkommenheit, Zufälligkeit und Passivität vorgeworfen. Sie war gereizt. Eigentlich kamen wir gut miteinander klar, aber es gab eine entscheidende Diskrepanz zwischen meiner Person und dem, was ihr vorschwebte, ihrem Wunschdenken. Sie wollte eine Art Autonomie der Kommunikation. Eine heroische Kommunikation, die unter einer makellosen weißen Fahne die Massen zu einer glorreichen, unblutigen Revolution führt. Ein heiler Zustand, in dem alles Ungenügende von Perfektion verschluckt wird. Das war ihre Vorstellung von Liebe. Meine war anders. Für mich ist die Liebe eine reine Idee in einem plumpen Körper. Ein Gebilde, das sich durch ein Gewirr von unterirdischen Kabeln und Leitungen irgendwohin verbindet. Alles andere als vollkommen. Mitunter sind die Leitungen gestört. Oder man weiß die Nummer nicht. Oder man verwählt sich. Aber dafür kann ich nichts. Solange wir in dieser physischen Form existieren, wird sich daran auch nichts ändern. Das ist ein Grundprinzip. Ich habe versucht, es ihr zu erklären. Immer und immer wieder.
Doch eines Tages hat sie mich verlassen.
Vielleicht habe ich dazu beigetragen, indem ich die Unvollkommenheit verstärkte.
Ich betrachtete das Telefon und versuchte mich daran zu erinnern, wie ich mit meiner Frau geschlafen hatte. Die letzten drei Monate, bevor sie mich verließ, hatte sie sich mir verweigert. Sie schlief bereits mit dem anderen. Ich hatte damals noch nicht die leiseste Ahnung von ihrem Seitensprung.
»Nimm’s mir nicht übel, aber was hältst du davon, mit anderen Frauen zu schlafen? Es würde mir nichts ausmachen«, sagte sie. Ich hielt es für einen Scherz. Aber sie meinte es ernst. Ich hätte überhaupt keine Lust, mit anderen zu schlafen, erklärte ich ihr, was durchaus der Wahrheit entsprach. Aber sie wolle es, sagte sie. Dann könnten wir unsere Beziehung neu überdenken.
Letztlich hatte ich mit niemandem geschlafen. Ich bin nicht prüde, aber ich schlafe doch nicht nur mit einer Frau, um mir über etwas klar zu werden. Sondern weil ich Lust dazu habe.
Kurz darauf hat sie mich verlassen. Angenommen, ich wäre fremdgegangen, wie sie es wollte, hätte ich sie dadurch zurückhalten können? Hat sie etwa ernsthaft geglaubt, das würde die Kommunikation zwischen uns auch nur ein Quäntchen autonomer gestalten? Lächerlich. Ich hatte damals nicht die geringste Lust, mit einer anderen zu schlafen. Ich habe jedoch nie herausbekommen, was in ihrem Kopf eigentlich vorging. Sie hatte sich nie konkret dazu geäußert. Auch nach der Scheidung nicht. Es war rein symbolisch. Sie hatte die Angewohnheit,
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