Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
über wichtige Dinge immer nur rein symbolisch zu sprechen.
    Es war bereits nach Mitternacht, doch das Tosen der Autobahn ebbte nicht ab. Hin und wieder knatterte ein Moped vorbei. Die Lärmschutzscheiben dämpften zwar die Geräusche, aber nicht sehr. Sie existierten gleich da draußen, ganz nah an meinem Leben. Lokalisierten mich an diesem bestimmten Punkt der Erdoberfläche.
    Ich wurde es leid, das Telefon anzustarren, und schloss die Augen.
    Sobald ich das tat, stellte sich das herbeigesehnte Ohnmachtsgefühl ein und bemächtigte sich der Leere. Geschwind und elegant. Sanft glitt ich in den Schlaf.
    Nach dem Frühstück blätterte ich in meinem Adressbuch nach der Nummer eines Bekannten, der für eine Künstleragentur arbeitete. Er hatte mir schon des Öfteren jemanden vermittelt, wenn ich für Magazine Interviews führen musste. Es war zehn Uhr morgens, als ich ihn anrief, und er schlief natürlich noch. Ich entschuldigte mich dafür, dass ich ihn geweckt hatte, und erklärte ihm, ich wolle Kontakt zu Gotanda aufnehmen. Er maulte ein bisschen, rückte dann aber die Telefonnummer von Gotandas Produktionsfirma heraus. Eine gediegene Firma. Ich rief dort an, und als der Manager sich meldete, nannte ich ihm den Namen eines Magazins und sagte, ich wolle eine Verabredung mit Gotanda treffen. Eine Reportage? Ehrlich gesagt, nein. Tja, weshalb dann? Berechtigte Frage. Reine Privatsache, sagte ich. Inwiefern privat? Wir würden uns von der Mittelschule kennen, erklärte ich, und ich wolle ihm etwas Wichtiges mitteilen. Ob er erfahren dürfe, wie ich heiße. Ich nannte ihm meinen Namen, den er sich notierte. Es sei dringend, betonte ich. Er werde es ausrichten. Ich würde gern mit Gotanda persönlich sprechen, fügte ich hinzu. Das wollen viele, meinte er. Allein schon Hunderte von ehemaligen Klassenkameraden.
    Es sei wirklich dringend, beharrte ich. »Wenn Sie mir den Gefallen täten, uns zusammenzubringen, werde ich mich dafür revanchieren. Professionell, versteht sich.«
    Der Manager erwog meinen Vorschlag. Ich hatte natürlich gelogen. Ich besaß gar keinen Einfluss. Meine Aufgabe bestand einzig darin, bestimmte Leute, die mir zugewiesen wurden, zu interviewen. Aber das konnte der Manager ja nicht wissen. Er durfte nur nicht dahinterkommen.
    »Und es geht ganz bestimmt nicht um eine Reportage?«, vergewisserte er sich. »Sonst gibt es nämlich Ärger, wenn das nicht offiziell und über mich läuft.«
    »Ganz bestimmt nicht«, versicherte ich ihm. Es sei eine rein private Angelegenheit.
    Er erkundigte sich nach meiner Telefonnummer. Ich gab sie ihm.
    »Ein Klassenkamerad aus der Mittelschule, ja?«, seufzte er. »Sie werden dann heute Abend oder morgen von ihm hören. Sofern er Lust dazu hat.«
    »Natürlich«, sagte ich.
    »Er ist schließlich ein viel beschäftigter Mann und hat vielleicht anderes im Sinn, als mit ehemaligen Schulkameraden zu plaudern. Er ist ja kein Kind mehr, und ich kann ihn nicht dazu zwingen.«
    »Schon klar.«
    Der Manager gähnte und legte auf. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Es war schließlich erst zehn Uhr morgens.
    Vormittags fuhr ich nach Aoyama, um in dem Delikatessen-Supermarkt Kinokuniya einzukaufen. Ich parkte meinen Subaru zwischen Saabs und Mercedes-Coupés. Wo er genauso kleinlaut wirkte wie sein Besitzer. Zugegeben, ich kaufe gern bei Kinokuniya. Es mag albern klingen, aber der Salat von dort bleibt tatsächlich am längsten frisch. Warum, weiß ich auch nicht. Es ist einfach so. Vielleicht sammeln sie nach Ladenschluss die Salatköpfe ein und unterwerfen sie einer speziellen Dressur. Es würde mich nicht wundern. In einer hochkapitalistischen Gesellschaft ist alles möglich.
    Auf meinem Anrufbeantworter war keine Nachricht. Es hatte also niemand angerufen. Zum Soundtrack von Shaft, der gerade im Radio lief, packte ich das Gemüse aus und verstaute es im Kühlschrank. Who’s that man? Shaft! Right on!
    Anschließend ging ich in ein Kino in Shibuya und schaute mir Unerwiderte Liebe an. Zum vierten Mal. Ich konnte nicht anders. Auf die Länge des Films eingestellt, konzentrierte ich meine ganze Aufmerksamkeit auf die entscheidende Szene, um nicht das geringste Detail zu verpassen. Es war wie immer. Sonntagmorgen. Das Zimmer von friedlichem Sonnenlicht durchflutet. Heruntergezogene Jalousien. Der nackte Rücken einer Frau. Streichelnde Männerhände. An der Wand ein Plakat von Le Corbusier. Eine Flasche Cutty Sark auf dem Nachttisch. Daneben zwei Gläser und ein

Weitere Kostenlose Bücher