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Tanz mit dem Teufel

Tanz mit dem Teufel

Titel: Tanz mit dem Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Depp
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lassen. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich war weder am Leben noch tot. Woran ich mich erinnere, sind die Fliegen. Seht ihr hier irgendwelche Fliegen? Da könnt ihr lange gucken. Fliegen sind was Widerwärtiges. Sie haben Scheiße an den Füßen, sie legen ihre Eier in Fleisch ab. Maden.«
    Er schlüpfte in sein Oberhemd.
    »Es war heiß. Die Fliegen kamen. Sie sind über die Köpfe meiner Brüder, in ihre Münder und wieder raus, in ihre Hälse. Dann hab ich gemerkt, dass sie auch auf mir saßen. Überall auf meinem Rücken. Ich konnte mich nicht bewegen. Sie haben gebrummt. Das machen sie bei jedem Fleisch, wenn man es lange genug rumliegen lässt.«
    Abgesehen von einem kaum hörbaren Stöhnen hatte Tavit sich während Onkel Atoms kleiner Vorstellung bis jetzt nicht schlecht geschlagen. Aber die Sache mit den Fliegen war zu viel für ihn. Wenn er an diesen Rücken dachte und wie die Fliegen ihre Eier darin ablegten … Und erst die Maden …
    Ihm drehte sich der Magen um. Die unverdauten Reste einer Dr. Pepper-Limo und eines Pastrami-Sandwichs pladderten auf den Fußboden.
    Onkel Atom sagte: »Hol dir was zum Putzen und mach das weg. Du wischst es auf, und dann gehst du noch mal mit Desinfektionsmittel drüber. Dass mir das Gesundheitsamt die Hölle heißmacht, hat mir gerade noch gefehlt.« Er zog seine Strickjacke an.
    Tavit wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab und ging das Putzzeug holen.
    Ungerührt erzählte Onkel Atom weiter: »Und da ist es mir dann wie Schuppen von den Augen gefallen. Meine Brüder, sie waren bloß noch Fleisch. Ich hab keine Seelen aus ihnen rausflattern sehen, als sie ihnen die Köpfe abgehackt haben. Die Tschetschenen, die hatten keine Seelen. Ich lag da und sah zu, wie die Fliegen über die Leichen meiner Brüder gekrabbelt sind, und ich habe nichts gefühlt. Damit war klar, dass auch ich keine Seele hatte. Fleisch. Da wusste ich es: Wir sind alle nichts als Fleisch.«
    Er knöpfte die Strickjacke zu, zog sie stramm und rückte sich die Ärmel zurecht.
    »Ich musste monatelang auf dem Bauch liegen. Monate. Meine Mutter hat die Verbände gewechselt, der Arzt hat mich betatscht. Als ich mich so weit erholt hatte, dass ich wieder ein Hemd überziehen konnte, hab ich weitergekämpft. Ich hab mich an die russischen Lager rangeschlichen. Ich hatte nichts zu verlieren. Ich besaß ja keine Seele. Ich kannte keine Angst. Ich war noch ein Junge, aber ich habe erwachsene Männer in den Kampf geführt. Männer, deren Söhne man getötet hatte, deren Frauen und Töchter man vergewaltigt oder ermordet hatte. Von uns besaß keiner mehr eine Seele.«
    Tavit kam mit einem Eimer Wasser, Küchentüchern, einem Wischmopp und einer Scheuerbürste zurück und machte sich mit seinem Putzarsenal an das Beseitigen der Bescherung. Atom sah ihm eine Weile bei der Arbeit zu, zeigte dann mit der Fußspitze auf einen Fleck und sagte: »Da hast du was übersehen.«
    Er erzählte weiter:
    »Nachts sind wir losgezogen, haben uns rangepirscht und russische Soldaten gefangen. Das hatte mit Politik nichts mehr zu tun. Unser Land war verloren. Es war ein Spiel. Wir haben sie gefangen und gefesselt. Wir haben Wasser heiß gemacht und sie nackt hineingesteckt. Wenn sie genug geschrien hatten, haben wir sie wieder rausgezogen und geschält, wie reife Bananen. Wie man es bei Schweinen macht. Die Haut flutschte nur so runter. Dann haben wir die Soldaten liegen lassen, damit die Russen sie finden. Das hat sie vielleicht das Fürchten gelehrt! Das Zeug mit dem Zitronenduft, das Lysol«, sagte er zu Tavit. »Steht im Lager.«
    Tavit, der auf allen vieren auf dem Boden kauerte und schrubbte, rappelte sich auf und ging das Mittel holen.
    »Alles bloß Fleisch. Wisst ihr, wie einer aussieht, dem man die Haut abgezogen hat?«
    Er klatschte mit der flachen Hand auf eine von der Decke hängende Schweinehälfte.
    »Genau so sieht er aus. Wie ein Schwein. Und er fühlt sich auch so an.« Er tätschelte das tote Tier ein paarmal wie einen alten Kumpel.
    Tavit kam wieder, spritzte das Lysol auf die Fliesen und schrubbte weiter.
    »Was bist du? Eine Putzfrau oder was? Das reicht. Komm her.«
    Atom stellte sich vor den Schafskopf.
    »Wenn ich euch losschicke, einen Auftrag für mich zu erledigen, habt ihr es nicht mit Menschen zu tun, sondern mit Fleisch. Mit Fleischklumpen, die keine Gefühle haben, die nicht denken, die keine Seele besitzen. Das Einzige, was sie haben, sind meine sauer verdienten Kröten. Mehr sind sie nicht. Bloß

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