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Tanz mit dem Teufel

Tanz mit dem Teufel

Titel: Tanz mit dem Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Depp
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hindurch in das dahinter gelegene Büro. Savan schnappte sich unterwegs ein Hähnchen und warf damit, ohne sich umzudrehen, über seine Schulter nach Tavit, der es unwillkürlich auffing.
    »Du hast sie wohl nicht alle, du Arsch«, rief Tavit wütend. Doch ein Blick von Omar genügte, um ihn verstummen zu lassen. Schnell packte er den Vogel wieder auf den Arbeitstisch.
    Hinter seinem alten, grauen Eisenschreibtisch zählte Onkel Atom mit Hilfe einer vorsintflutlichen Kurbelrechenmaschine ein halbes Dutzend Geldstapel. Atom Baldessarian hasste die moderne Technik fast so sehr wie das Geldausgeben und das Geldausgeben fast so sehr wie die Menschen. Abgrundtief. Außer dem Schreibtisch enthielt das Büro noch zwei Stahlaktenschränke, zwei Stahlrohrstühle und ein Stahlregal mit ein paar Musikkassetten und einem Ghettoblaster, der ungefähr aus dem Jahr 1978 stammte. An den Wänden hingen Poster mit Fleischzuschnitten und ein riesiges Foto von Charles Aznavour, der auf Onkel Atom hinunterblickte. Aus dem Ghettoblaster dudelte blechern armenische Volksmusik. Araz klopfte und öffnete die Tür.
    »Los, rein mit euch«, sagte Onkel Atom, ohne aufzublicken.
    Araz wagte sich ein paar Schritte ins Zimmer. Tavit und Savan drückten sich hinter ihm hinein. Sie hatten alle eine Heidenangst vor Onkel Atom, aber da Araz der Älteste war, musste er den Wortführer mimen.
    Endlich hob Atom den Kopf. »Steh nicht da rum wie ein Idiot. Soll ich mir eine Lungenentzündung holen? Wo ist mein Geld? Wo habt ihr so lange gesteckt?«
    »Es war schon spät?« Vor lauter Nervosität kam Araz’ Antwort als Frage heraus.
    »Woher weiß ich, dass man euch nicht die Rübe eingeschlagen oder ausgeraubt hat?«
    »Uns alle?«, sagte Araz.
    Grummelnd zählte Atom weiter, riss an der Kurbel.
    »Euch drei könnte sogar ein Rotzbengel mit seiner Korkenpistole umpusten. Ihr seid doch sogar zu blöd, euch die Fusseln vom Schwanz zu lecken. Und solchen Nieten soll ich über Nacht meine dreißigtausend Dollar anvertrauen? Wo ist die Kohle?«
    »Wir haben sie nicht?« Araz schwitzte. Wenn doch nur seine Knie nicht mehr schlottern würden. Und mussten seine Antworten unbedingt so rauskommen wie die Fragen bei Jeopardy ?
    »Wie viel hat er abgedrückt?«
    »Nichts?« Jetzt schnappte seine Stimme auch noch über. Erbärmlich.
    Atom hörte auf zu kurbeln und starrte ihn an.
    »Was ist?«, fragte er. »Hast du Schiss vor mir?«
    »Nein«, sagte Araz.
    »Du hast keinen Schiss vor mir?«
    »Nein.«
    Atom stand langsam auf, kam um den Schreibtisch herum, ohne seinen ältesten Neffen aus den Augen zu lassen, und baute sich genau vor ihm auf. Araz verbesserte sich hastig: »Schon gut, doch. Ich habe Schiss vor dir.«
    »Gut«, sagte Atom. »Hüte dich vor den Älteren, denn sie wissen mehr als du. Und vor Leuten, die mehr wissen, musst du immer auf der Hut sein, kapiert?«
    »Ja.«
    Atom marschierte an ihm vorbei. Savan und Tavit spritzten auseinander, um ihn durch die Tür zu lassen, und folgten ihm zusammen mit Araz in den Zerlegeraum.
    »Was seht ihr hier?«, herrschte Atom sie an.
    Das war eindeutig eine Fangfrage, auf die keiner von ihnen hereinfallen wollte. Sie blickten sich ratlos an.
    » FLEISCH !«, brüllte Onkel Atom. »Ihr seht FLEISCH ! Ihr seid in einer Metzgerei, verflucht noch mal. Was soll’s hier sonst schon geben? Also, was seht ihr?«
    »Fleisch?«, wiederholte Tavit.
    »Gut. Ja, Fleisch. Vielleicht hast du ja doch ein bisschen Grütze im Kopf. Warum ist Fleisch wichtig?«
    »Weil man’s essen kann?«, riet Tavit, etwas mutiger geworden.
    »Weil man’s essen kann«, wiederholte Atom. »Komm her.«
    Tavit gehorchte. Atom packte ihm beim Schlafittchen, zerrte ihn zur Zerlegebank, auf der ein Schafskopf lag, und drückte sein Gesicht nach unten.
    »Würdest du das essen?«, fragte Atom.
    »Nein?«
    »Warum nicht?«
    »Weiß nicht«, sagte Tavit. »Weil’s nicht gekocht ist oder so?«
    »Stimmt genau. Wenn es gekocht wäre, wäre es ESSEN , richtig? Aber es ist nicht gekocht, und deshalb ist es bloß FLEISCH . Kapiert?«
    Die drei nickten, auch wenn sie keinen Schimmer hatten, worauf ihr Onkel hinauswollte. Der ließ Tavit wieder los.
    » FLEISCH . Alles, was auf der Welt lebt, ist FLEISCH . Kapiert ihr das? Es sind keine Schmetterlinge, es sind keine niedlichen Kätzchen mit großen Kulleraugen, keine Menschen, nicht ihr und auch nicht ich. Alles ist FLEISCH , sonst nichts. Jedes Lebewesen. Und das müsst ihr begreifen. Glaubt ihr, dass dieses

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