Tanz mit mir - Roman
Folge von Laurens Einsatz war, dass praktisch über Nacht die Plage der Phantomtermine nachließ. Außerdem hatte Lauren sehr zum Erstaunen der beiden anderen Sprechstundenhilfen in Teilzeit, Diane und Sue, mit ihrer Weigerung, nachtragend zu sein, die furchterregende Kathleen milde gestimmt. Diese stellte nämlich nicht nur Rezepte aus, sondern verteilte auch recht harsche persönliche Kritik, die für gewöhnlich so laut war, dass der gesamte Rest der Praxis mithören konnte.
Lauren hatte sich zunächst das Wartezimmer vorgeknöpft. Hier hatten den Patienten zuvor nur ein eselsohriger Stapel von Dr. Bashirs Dampflok-Magazinen und ein paar Broschüren zum Thema Familienplanung zur Verfügung gestanden, um sich von ihren Beschwerden abzulenken. Lauren brachte einige ihrer Braut- und Modemagazine mit, ein paar Ausgaben von Franks monatlicher Gartenzeitschrift sowie mehrere von Chris’ alten Automagazinen und stellte Blumen aus dem eigenen Garten auf die Empfangstheke. Sie organisierte einen Tisch für einen Büchermarkt zugunsten der Kinderspielgruppe,
und wenn Mütter mit ihren Kindern in die Praxis kamen, gab Laura ihnen Buntstifte, um während der Wartezeit Bilder zu malen, die sie dann in einem der Flure an die Wand hängte.
Sie war, wie Dr. Bashir jeden Morgen erneut feststellte, wenn sie ihm seinen Kaffee brachte, »nicht nur ein kleiner Sonnenstrahl – sondern ein großer, schlaksiger«.
Lauren liebte ihren Beruf. Sie genoss die unkomplizierte Tätigkeit und lernte für ihr Leben gern neue Leute kennen – ganz besonders diejenigen, die mit peinlichen Verletzungen ankamen und damit bewiesen, dass sie selbst nicht der tollpatschigste und ungeschickteste Mensch in der ganzen Stadt war. Longhampton war so groß, dass es immerhin eine allerdings kaum sehenswerte Abtei sowie fünf Supermärkte gab, doch klein genug, um sowohl mit älteren Leuten als auch nervösen, jungen Müttern ins Gespräch zu kommen, die ihre Babys fest umklammert hielten. Lauren verfügte über ein hervorragendes Namensgedächtnis und hatte stets ein paar nette Worte parat, selbst für ein abgrundtief hässliches Kleinkind.
Nur mit diesen Diskretionsvorschriften hatte sie ihre liebe Not. Dr. Carthy hatte ihr in ihrem Vorstellungsgespräch fünfzehn Minuten lang eingeschärft, wie überaus wichtig es war, die Daten und Krankheiten aller Patienten absolut vertraulich zu behandeln. Sie hatte mit ernster Miene genickt und versichert, wie gut sie Dinge für sich behalten konnte, und erklärt, dass sie niemals jemandem auch nur die Hälfte aller Dinge erzählt habe, die sie hätte erzählen können, da ihre Mutter eine Lehrerin sei und als solche die halbe Stadt kenne. Wie sie Bridget anschließend berichtet hatte, habe diese Neuigkeit Dr. Carthy sehr milde gestimmt, da sein Enkelsohn Jackson im vergangenen Jahr in Mrs. Armstrongs Klasse gewesen sei. Warum sie ihm das denn nicht gleich gesagt habe, hatte er gefragt, und so weiter und so fort. Dann hatte sein Drucker
einen Papierstau produziert, den sie durch das richtige Schlie ßen der Papierschublade beheben konnte, und schon hatte sie den Job in der Tasche gehabt.
Jedenfalls war es nicht so, dass Lauren gern Klatsch verbreitete – jedenfalls nicht so, wie Kathleen, die es genoss, ihnen zu erzählen, welcher örtliche Stadtrat wieder Antibiotika benötigte, weil er an einer Pilzerkrankung litt, zwinker, zwinker. Vielmehr war es der seltsame Einblick in das Privatleben der Patienten, mit dem sie ihre Schwierigkeiten hatte. Die kleinen Details aus dem Leben der Patienten glichen in ihrer Gesamtheit einer Seifenoper aus dem Fernsehen – mit dem einzigen Unterschied, dass es hier um wirkliche Personen ging. Lauren konnte nichts dagegen tun, dass ihre Phantasie die kleinen Informationsfetzen sammelte und dann mit ihnen davongaloppierte. Warum zum Beispiel ließ sich Kerry Michaels immer wieder die Pille verschreiben und hatte dennoch mit ihrem Ehemann zwei Termine für eine Fruchtbarkeitsbehandlung? Warum? Und Mrs. Herbert, die unablässig bei dem neuen Vertretungsarzt Dr. McKay vorstellig wurde. Sie kam mittlerweile so oft zu ihm, dass Dr. McKay Lauren bitten musste, vorzugeben, er habe Bereitschaftsdienst. War sie krank? Konnte Dr. McKay den Grund für ihr Unwohlsein einfach nicht herausfinden? Oder hatte sich Mrs. Herbert etwa in ihn verknallt?
Während Lauren die Patientenakten für die anstehenden Termine heraussuchte, ermahnte sie sich, nicht so neugierig zu sein – ihr
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