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Tanz mit mir - Roman

Tanz mit mir - Roman

Titel: Tanz mit mir - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Dillon Sina Hoffmann
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den Angelica noch aus ihrer Schulzeit vor vierzig Jahren kannte und der sie zusammenzucken ließ. Jugendliche quollen aus den Türen hervor; ihre Uniformen schienen eine schmuddelige Parodie der steifen marineblauen und gelben Uniformen von damals zu sein, an die sie sich noch gut erinnerte. Angelica setzte ihren Weg fort, bevor sie feststellen konnte, wie jung die Schüler wirkten und wie alt sie sich im Gegensatz zu ihnen fühlte.
    Während sie die Fußgängerzone durchquerte, verspürte sie immer wieder kleine, wehmütige Stiche. Ihre Erinnerungen glichen einem Autoscooter auf dem Jahrmarkt: Sie konnte völlig unbeeindruckt durch die Fußgängerzone mit den vielen neuen Geschäften eilen, bis sie dann mit einem Mal in ihre Vergangenheit zurückgerissen wurde beim Anblick eines alten, verblichenen Apothekenschildes über einer modernen Markise. Von da aus wurde sie wieder nach vorn in die Gegenwart geschleudert, wo sie dann frischeren, traurigeren Gedanken nachhing. In letzter Zeit hatte sie die Vergangenheit öfter Revue passieren lassen: als sie Papiere ihrer Mutter durchgesehen, die vergilbten Fotos wieder in ihre Klebeecken geschoben, alte Briefe aus ihren Umschlägen geholt und die Kisten sortiert hatte, die auf dem Dachboden abgestellt gewesen waren. Eigentlich handelte es sich um eine Arbeit, die schnell zu erledigen war – wenn man einmal von
den vielen Stunden absah, in denen die Erinnerungen wieder zum Leben erweckt wurden. Jede einzelne Kiste schien ihr eine weitere Woche unruhigen Schlafes zu bescheren, in der sich die neuen Dinge, die sie erfuhr, und die alten Erinnerungen, die sie schon längst vergessen geglaubt hatte, in ihre Träume drängten.
    Aus diesem Grund hatte sie sich einen Termin bei Dr. Carthy geben lassen, um sich ein paar Tabletten verschreiben zu lassen, die sie in diesen Tagen brauchte, um schlafen zu können. Außerdem brauchte sie ein Medikament gegen die Schmerzen in ihren verschlissenen Knien. Sie konnte sich schon gar nicht mehr erinnern, wann sie das letzte Mal eine Nacht ohne Hilfe durchgeschlafen hatte.
    Angelica überquerte die Hauptstraße und ging auf die Abteikirche zu, hinter der die Häuserreihen mit eleganteren viktorianischen Gebäuden begannen. Die weiß gestrichenen, ansehnlichen Häuserfronten ragten hoch hinaus über Vorgärten, in denen Buchsbaum und Geißblatt wuchsen oder sich, wie in den meisten Fällen, eine frischbetonierte Einfahrt befand. In den Häusern selbst waren Arztpraxen, Zahnärzte oder Altenheime untergebracht. Vielleicht hätte Mum es vorgezogen hierzubleiben, dachte Angelica. Sie hatte das ungute Gefühl, dass sich ihre Mutter niemals wirklich in London eingelebt hatte, ganz gleich, was sie behauptet hatte. Richtig kennengelernt hatte sie dort niemanden, und als dann auch noch ihre Hüfte immerzu schmerzte, konnte sie ihre Tochter nicht einmal mehr zu den Tanztees begleiten.
    Angelicas forscher Gang verlangsamte sich, als die schmerzlichen Erinnerungen an das letzte Jahr wieder hochkamen. Sie musste innehalten und sich an die Gartenmauer anlehnen, vor der sie gerade stand.
    »Du warst ein Engel«, hatte ihre Mutter ihr fast jeden Tag gesagt, als sie in ihrem Sessel am Fenster gesessen hatte und mit jeder Woche, die vorüberging, immer schmaler und matter
geworden war. Angelica hatte den CD-Player mit Big-Band-Musik in ihre Reichweite gestellt, sodass sie ihn mit ihren arthritischen Fingern anstellen konnte. Zudem hatte sie den Lehnsessel ihrer Mutter zum Fenster hin gedreht, damit sie auf den Kanal hinausschauen konnte, den man von der Rückseite des Hauses im Blick hatte. Zwar war dieser Kanal kein richtiger Fluss – zumindest nicht wie der Fluss, der durch Longhampton floss -, doch immerhin hatte sie damit etwas, was sie beobachten konnte. Ein paar Enten schwammen dort immer im Wasser. »Du bist ein gutes Mädchen – schön, dass du dich so rührend um deine alte Mum kümmerst.«
    »Das bin ich dir schuldig«, hatte Angelica jedes Mal geantwortet, zu Beginn noch recht ungeduldig, dann immer trauriger. »Wenn du mich nicht zum Ballett geschickt hättest, wäre ich keine Tänzerin geworden und wäre nicht nach Amerika gegangen, hätte Jerry nicht geheiratet und würde dann auch nicht dieses Haus besitzen, um dich hier unterzubringen. Du hast dich um mich gekümmert, Mum. Jetzt bin ich an der Reihe, mich um dich zu kümmern.«
    Sie sahen einander an, und in diesem Blick lag eine Fülle an unausgesprochenen Gedanken: Angelica hatte niemals auch

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