Tanz, Pueppchen, Tanz
die Polizei kommt«, warnt Spenser. »Ich rufe laut: Polizei.«
»Dann in zwanzig Minuten«, sagt Hayley und sieht Amanda fragend an.
»In zwanzig Minuten«, bestätigt Amanda.
Ben macht die Tür auf und lässt Spenser und Hope hinausgehen. Als er gerade die Tür schließen will, dreht sich Hope auf der Schwelle noch einmal um. »Bis in zwanzig Minuten«, wiederholt sie, und ihr eindringlicher Blick wirkt noch nach, als sie längst verschwunden ist.
»Es sind reizende Kinder«, sagt Amanda.
In Hayleys Augen schimmern Tränen. »Wie hast du uns gefunden?«
»Spielt das wirklich eine Rolle?«
»Vermutlich nicht. Was willst du?«
»Ich glaube, das wissen Sie.«
»Ich finde, du solltest aufhören, auf den Busch zu klopfen, und verdammt noch mal zur Sache kommen«, faucht Hayley, die jetzt zum ersten Mal die Beherrschung verliert und frustriert die Hände auf die Schenkel schlägt.
»Ich weiß, dass Sie nicht Mr. Walshs Tochter sind«, erklärt Amanda ihr. »Mr. Walsh hatte keine Tochter.«
»Hat dir das deine Mutter erzählt?«
»Meine Mutter hat mir gar nichts erzählt. Sie ist im Krankenhaus.«
»Im Krankenhaus?«
»Sie hat versucht, sich umzubringen.«
»Was?« Hayley wirkt bestürzt. »Oh Gott. Wie geht es ihr?«
»Sie wird durchkommen«, sagt Amanda, überrascht von der unvermuteten Sorge der anderen Frau. »Warum hat sie das getan, Hayley? Welches Geheimnis wollte sie zur Not mit ihrem Leben beschützen?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Ich weiß es nicht, aber du.«
Hayley beginnt erregt vor dem Bett auf und ab zu laufen.
»Du musst gehen. Sofort. Bevor noch mehr Menschen zu Schaden kommen.«
»Sag mir, wer du bist.«
»Ich kann nicht.«
»Vorher gehe ich nicht.«
Tränen treten in Hayleys Augen. »Das weißt du nicht? Das weißt du wirklich nicht?« Die gleiche Frage, die ihr heute früh schon Mrs. Thomson gestellt hat.
»Ich weiß, dass du nicht Hayley heißt.«
»Nein, du irrst dich.«
»Ich weiß, dass du in Wahrheit Lucy heißt.«
»Nein, bitte. Du weißt ja nicht, was du redest.«
»Ich weiß, dass du meine Schwester bist«, wagt sich Amanda vor und wappnet sich gegen weiteres vehementes Leugnen der Frau.
Es bleibt aus.
»Oh Gott«, stöhnt die Frau und hält sich den Bauch. »Oh Gott. Oh Gott.«
»Du bist meine Schwester«, wiederholt Amanda ungläubig, als die andere Frau an ihr vorbei ins Bad stürzt. Kurz darauf hört man sie heftig würgen. Amanda zwingt sich, ganz ruhig zu bleiben und nichts zu denken, bis Hayley zurückkommt. Sie versichert sich, dass alles ein Irrtum ist, dass Hayley irgendein Spiel mit ihr spielt aus Rache für all den Ärger, den sie ihr bereitet hat. »Das verstehe ich nicht«, sagt sie, als Hayley mit Schweißperlen auf der Stirn und einem Waschlappen vor dem Mund zurückkommt. »Wie ist das möglich?«
Hayley lässt sich aufs Bett sinken. »Du hast es noch immer nicht begriffen«, staunt sie.
»Erklär es mir.«
Hayley schüttelt den Kopf. »Ich kann nicht. Bitte. Ich kann nicht.«
»Wie können wir Schwestern sein?«, bedrängt Amanda sie. »Ich bin achtundzwanzig. Du bist … was?«
»Ich werde nächsten Monat einundvierzig«, antwortet Hayley mit monotoner Stimme.
»Das ist ein Altersunterschied von mehr als zwölf Jahren. Meine Eltern waren vor meiner Geburt erst ein paar Jahre verheiratet, sodass wir offensichtlich nicht denselben Vater haben können.«
Hayley nickt, sagt aber nichts.
»Und davor war meine Mutter mit …«
»… meinem Mann verheiratet.«
»Willst du damit sagen, das meine Mutter noch einen Ex-Mann hat, von dem ich nichts weiß?« Wie die Mutter, so die Tochter, denkt sie.
»Nein, das will ich nicht sagen.«
»Dann verstehe ich es nicht. Wer ist dein Vater?«
»Mein Vater?«, wiederholt Hayley, als ob sie das Wort nicht versteht.
»Ja. Wer ist dein Vater?«
Nach einer Pause, die eine Ewigkeit dauert, antwortet sie, die Stimme kaum mehr ein Flüstern, wie zuvor: »Mein Mann.«
Einen Moment lang glaubt Amanda, dass Hayley die Frage falsch verstanden hat. Welche andere Erklärung gibt es für diese seltsame Antwort? Sie kann doch unmöglich andeuten … Amanda hält inne, und ihr Atem gefriert in ihrer Lunge. Nein. Das kann nicht sein. Es ist unmöglich. Jenseits von unmöglich. Mit zitternden Fingern greift sie in die Tasche ihres Wintermantels, zieht das Bild heraus, das sie im Haus ihrer Mutter gefunden hat, und hält es vor ihre ungläubigen Augen.
Was Amanda sieht: John Mallins alias Rodney Turek, den
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