Tanz, Pueppchen, Tanz
grausamen Streich wie zu der Zeit, als ich noch getrunken habe, und ich wollte mich gerade abwenden, als ich Rodney gesehen habe. Und ja, ich habe ihn sofort erkannt. Es war, als ob man jemanden trifft, den man seit der Grundschule nicht gesehen hat, und trotzdem denkt man, dass er sich kein bisschen verändert hat. Außerdem war dieses Gesicht unverkennbar, egal was er alles damit angestellt hatte.« Sie reibt sich die Stirn, als wollte sie das unangenehme Bild wegwischen.
»Und dann habe ich den kleinen Jungen gesehen und die Frau. Die ihn an der Hand hielt. Seine Mutter. Meine Tochter. Und plötzlich wusste ich es. Es war alles so grausam und schrecklich klar.«
»Warum hast du sie nicht gestellt?«
»Ihr müsst euch vorstellen, dass sich die ganze Episode im Bruchteil einer Sekunde ereignet hat. Ich war zu perplex, um irgendwas zu tun«, gibt ihre Mutter zu. »Und im nächsten Moment waren sie schon wieder verschwunden. Ich war total durcheinander. Ich weiß nicht mal mehr, wie ich es bis nach Hause geschafft habe. Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich vor meinem Medizinschrank stand und all meine Tablettenfläschchen zur Hand nahm, diese schrecklichen Tabletten, die ich aufbewahrt hatte, um mich daran zu erinnern, wie tief ich gesunken und wie weit ich mittlerweile gekommen war, und ich konnte nur denken, dass ich wieder da war, wo ich angefangen hatte, dass ich schneller denn je abstürzte und dass alles, wenn überhaupt, noch viel schlimmer war, als ich es mir je vorgestellt hatte. Ich habe überlegt, ob ich die ganzen Tabletten schlucken und meinem Schmerz ein für alle Mal ein Ende bereiten sollte.« Sie lacht, doch es klingt eher wie ein scharfes Bellen, das die Luft zerreißt. »Aber dann wurde mir klar, dass sie alle längst abgelaufen waren und mir wahrscheinlich nur übel werden würde. Und welchen Sinn hätte das?«
»Also hast du stattdessen beschlossen, ihn umzubringen?«
»Ich kann mich nicht daran erinnern, irgendwas beschlossen zu haben. Ich kann mich nicht erinnern, die Waffe gefunden und in Händen gehalten zu haben. Seine Pistole übrigens. Er hatte sie während unserer Ehe zu seinem Schutz gekauft. Eine Ironie des Schicksals, nicht wahr? Jedenfalls kann ich mich nur daran erinnern, am nächsten Tag in dieser Hotellobby gesessen und gewartet zu haben. Und dann habe ich ihn durch die Drehtür kommen sehen und bin aufgestanden und zu ihm rübergegangen. Dieser Ausdruck beiläufiger Zurückweisung in seinem Gesicht, als er mich sah. Bloß irgendeine alte Frau, die ihm den Weg versperrte, dachte er. Und dann die aufleuchtende Erkenntnis in seinen Augen, als es ihm plötzlich dämmerte, wer ich war. So klar und deutlich wie das Klicken des Abzugs.« Sie atmet tief ein, bevor sie in einem Rutsch weiter erzählt. »Dann dreimal ein lauter Knall, er lag auf dem Boden, die Leute kreischten, und er blutete auf den schönen Teppich, na, und den Rest wisst ihr ja.«
»Warum hast du der Polizei nicht die Wahrheit gesagt?«
»Wie denn?«, fragt Gwen Price ihre Tochter. »Wie hätte ich Lucy das antun können? Es war meine Schuld, dass er sie benutzt hat. Alles, was ihr geschehen ist – meine Schuld. Verstehst du nicht, dass ich sie schützen musste, dass ich ihr allermindestens mein Schweigen schuldig war?«
»Und du bist einfach davon ausgegangen, dass niemand ermitteln würde, wenn du gestehst?«
»Das hat ja auch niemand«, stellt ihre Mutter fest. »Die Polizei hatte alles, was sie brauchte. Es war allen egal, warum ich es getan hatte. Außer dir.« Sie lächelt. »Ich hatte vergessen, wie stur du sein kannst.«
»Wie willst du irgendwas über mich wissen?«, fragt Amanda mit zurückkehrender Wut, die in ihrer Stimme vibriert. »In der ganzen Zeit, die ich weg war, hast du nie versucht, Kontakt mit mir aufzunehmen. Du hast nie versucht, mich zu besuchen.«
»Ich habe Jahre gebraucht, um mich wieder auf die Reihe zu kriegen«, sagt ihre Mutter. »Als ich endlich clean und trocken war, habe ich einen Privatdetektiv engagiert. Er hat dich in Florida gefunden. Ich habe ein Flugticket gekauft und dann noch eins und noch eins. Aber ich habe es nie über mich gebracht, ins Flugzeug zu steigen. Ich habe mir gesagt, dass du dich ohne mich so gut machst, und welchen Sinn hätte es gehabt, alte Wunden aufzureißen? Und ich habe mich mit dem Wissen getröstet, dass ich dich im Gegensatz zu deiner Schwester zumindest aus der Distanz beobachten konnte. Aber in Wahrheit hatte ich Angst. Ich
Weitere Kostenlose Bücher