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Tanz, Pueppchen, Tanz

Tanz, Pueppchen, Tanz

Titel: Tanz, Pueppchen, Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
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wusste, was für ein furchtbares Chaos ich angerichtet hatte, vor allem nach dem Tod deines Vaters. Ich wusste, dass alle Entschuldigungen der Welt nicht ausreichen würden, das wieder gutzumachen.«
    Das harsche Urteil ihrer Mutter, das sie ihr Leben lang im Ohr gehabt hat, schlägt Amanda entgegen wie ein Speer, der direkt auf ihre Seele zielt. Nun, kein Wunder, dass dein Vater einen Herzinfarkt hatte, bei einer Tochter wie dir.
    »Du hast mir erklärt, dass ich für Daddys Tod verantwortlich war.«
    »Oh Gott. Das war so ungerecht. Und so unwahr. Schätzchen, wenn irgendwer für den Herzinfarkt deines Vaters verantwortlich war, dann ich und nicht du.«
    Amanda schüttelt den Kopf. »Ich war ein Albtraum.«
    »Du warst ein Teenager. Ich war der Albtraum.«
    In Amandas Augen schimmern Tränen. »Ich habe ihn enttäuscht. Ich habe ihn jeden Tag auf die eine oder andere Weise im Stich gelassen.«
    »Nein, Liebes«, widerspricht ihre Mutter vehement. »Er hat dich im Stich gelassen.«
    »Was?«
    »Er war so damit beschäftigt, mich zu pflegen, und er hat darüber vergessen, dass es seine wichtigste Aufgabe gewesen wäre, sich um dich zu kümmern. Egal wie unabhängig du warst, egal wie stark du gewirkt hast, egal welche Pose du eingenommen hast. Alles ganz egal. Du warst sein kleines Mädchen, und es war seine erste Pflicht, dich zu beschützen. Selbst wenn ich der Mensch war, vor dem er dich beschützen musste.« Sie streckt die Hand aus und lässt sie wieder sinken, als Amanda sich weigert, sie zu beachten.
    »Es war nicht deine Schuld, Mandy. Es war nie deine Schuld.«
    Die Worte kreisen sanft und spinnen einen warmen Kokon um Amanda. Wie ein zu Unrecht verurteilter Gefangener, der nach einem Leben in Haft begnadigt wird, ist sie aller Untaten vollkommen und unerwartet freigesprochen worden. Sie ist frei.
    Es war nicht deine Schuld, Mandy. Es war nie deine Schuld.
    Amanda lässt sich wieder auf die Bank fallen. Sie ist unschuldig.
    »Es tut mir so Leid, mein Schatz«, redet ihre Mutter weiter. »Für alles, was du meinetwegen durchmachen musstest, und all die schrecklichen Dinge, die ich zu dir gesagt habe. Wenn ich irgendetwas sagen oder tun kann, um all das Leid wieder gutzumachen, das ich dir angetan habe …«
    Amanda starrt in das verschwollene Gesicht ihrer Mutter. Wie schön sie ist, denkt sie erneut. »Es gibt etwas«, hört sie sich sagen.
    »Was?«
    »Du kannst dich nicht schuldig bekennen.«
    »Was?«, fragt ihre Mutter noch einmal.
    »Du warst offensichtlich in einem psychischen Ausnahmezustand. Keine Jury der Welt wird dich verurteilen, wenn sie erst einmal deine Geschichte gehört hat.«
    Ihre Mutter schüttelt vehement den Kopf. »Keine Jury wird diese Geschichte je hören. Niemand sonst wird diese Geschichte hören.«
    »Dafür ist es zu spät«, erklärt Amanda ihr.
    »Was? Was soll das heißen?«
    »Die Polizei hat sie schon gehört.«
    »Wovon redest du?« Ihre Mutter wirkt auf einmal erregt und zerrt nervös an den Falten ihres Trainingsanzugs.
    »Dazu hattest du kein Recht. Du hattest kein Recht, ihnen alles zu erzählen.«
    »Das hat sie auch nicht«, schaltet Ben sich ein.
    »Was? Wie hat dann …?«
    »Lucy ist gestern Abend zur Polizei gegangen.«
    »Lucy ist zur Polizei gegangen?«
    »Sie hat ihnen die Wahrheit erzählt.«
    »Nein. Ihr lügt. Ihr versucht, mich reinzulegen.«
    »Nein, Mutter«, sagt Amanda. »Keine Lügen mehr.«
    »Oh Gott. Mein armes süßes Mädchen. Geht es ihr gut?«
    »Warum fragst du sie nicht selbst?«, sagt Amanda, während Ben aufsteht und zu den Türen zum angrenzenden Korridor geht.
    Und dann steht sie plötzlich in der Tür, eingerahmt von dem Sonnenlicht, das durch ein hohes Fenster fällt. Hayley Mallins, eine erwachsene Frau, die einmal ein junges Mädchen namens Lucy Turek gewesen ist.
    Die Tochter ihrer Mutter.
    Und meine Schwester, denkt Amanda, als sich die Frau vorsichtig nähert. Sie trägt einen rosafarbenen Pulli und eine graue Hose, ihr dunkles Haar ist adrett hinter die Ohren gekämmt. Auch wenn ihre Augen ein wenig verquollen sind und ihre Lippen sichtlich zittern, verbreitet sie eine Aura der Ruhe, erkennt Amanda. Gelassene Heiterkeit wie das Mädchen auf der Schaukel auf dem Bild von Renoir.
    Ihre Mutter steht langsam auf. Sie schwankt unsicher hin und her wie von feinen Fäden gehalten, während die Fremde, die ihre Tochter ist, näher kommt. Unsichtbare Drähte scheinen ihren Mund zu öffnen, ihre Lippen formen lautlos den Namen

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