Tanz, Pueppchen, Tanz
den nach oben packen?«, fragt der Mann und weist auf das Gepäckfach über ihren Köpfen.
»Danke.«
»Jetzt bequemer?«
Amanda klopft auf den tiefen V-Ausschnitt ihres weißen T-Shirts und atmet tief ein. »Viel. Danke.«
Sein Blick folgt ihrer Handbewegung. »Möchten Sie ein Glas Wasser? Ich kann nach der Stewardess klingeln.«
»Nein, das ist schon in Ordnung. Vielen Dank noch mal.«
Er lächelt und streckt die Hand aus. »Jerrod Sugar.«
Amanda braucht einen Moment, bis sie begreift, dass das kein exotisches Getränk, sondern sein Name ist. »Amanda«, sagt sie und schüttelt seine Hand. »Amanda Travis.«
»Fliegen Sie nach Hause, Amanda?«, fragt Jerrod Sugar.
»Nein, eigentlich ist Florida mein Zuhause.«
»Wirklich? Ich dachte, ich hätte den Hauch eines Akzents gehört«, bemerkt er glucksend.
»Nein, ich bin in Florida geboren«, erklärt Amanda steif.
»Und Sie?«
»Ich stamme ursprünglich aus Milwaukee. Letztes Jahr bin ich nach Abacoa gezogen.«
Amanda sieht die kleine funkelnagelneue Gemeinde vor sich, die zwischen Palm Beach und Jupiter aus dem Boden gesprossen ist. Obwohl die Stadt erst halb bevölkert ist, nennt sie bereits ein Stadion, einen Golfplatz und eine ausgewachsene Universität ihr Eigen. Außerdem stellt sie sich eine Frau und drei kleine Mini-Sugars vor. »Warum Abacoa?«
»Ich bin Dozent«, sagt er. »Man hat mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ablehnen konnte.«
»Und was dozieren Sie so?«
Er lacht, und Amanda entscheidet, dass sie den Klang mag. Sie lehnt sich näher an ihn, sodass ihre linke Brust seinen Arm streift. »Wirtschaftswissenschaft«, sagt Jerrod Sugar und greift in seine Tasche, um eine Visitenkarte zu zücken, wobei er darauf achtet, dass sein Arm den Kontakt zu ihrer Brust nicht verliert.
Sie studiert demonstrativ seine Karte. »Ich fürchte, ich weiß absolut nichts über Wirtschaft.«
»Ich vermute, Sie wissen eine ganze Menge. Über alles Mögliche.«
Nun ist es an Amanda zu kichern. »Und warum fliegen Sie nach Toronto?«
»Ein Kongress. Und Sie?«
»Urlaub«, sagt sie, weil es das Erste ist, was ihr einfällt.
»Urlaub? Wer macht denn im Februar Urlaub in Toronto?«
Amanda zuckt die Achseln. Er hat natürlich Recht.
»Kommen Sie, gestehen Sie.« Diesmal beugt er sich vor, sodass sein Blick in ihren Ausschnitt fällt.
Amanda ist sich nicht sicher, ob es sein unverhohlener Blick oder sein »Gestehen Sie« ist, aber sie hört sich unvermittelt sagen: »Eigentlich hat mich mein Ex-Mann angerufen, um mir zu sagen, dass meine Mutter wegen Mordes verhaftet wurde. Er meinte, es wäre vielleicht gut, wenn ich sie besuche.«
Jerrods Gesicht zerbricht unter seinem Lächeln fast in zwei Hälften. »Sie machen Witze, oder?«
»Klar mach ich Witze«, bestätigt Amanda unverzüglich.
Er lacht, aber sie hört einen nervösen Unterton, der vorher nicht da war. Er wendet sich ab und ist Sekunden später bereits wieder in sein Buch vertieft.
Amanda war vierzehn, als sie ihre Unschuld verlor.
Es passierte in irgendjemandes Ferienhaus in Haliburton. Der Jemand war Perry Singleton, dessen Schwester Claire mit Amanda in eine Klasse ging und dessen Eltern Amanda an einem Wochenende im Juli in ihr Ferienhaus eingeladen hatten. Die Singletons hatten wohl gehofft, dass die Einladung den Funken einer Freundschaft zwischen ihrer schüchternen und introvertierten Tochter und ihrer lebhafteren Klassenkameradin zünden würde, doch sie befeuerte lediglich die Lenden von Claires älterem Bruder.
Mit sechzehn war Perry Singleton bereits der Typ, vor dem einen Mütter warnen – gut aussehend, draufgängerisch und wild. Amanda hatte ihn durch die Flure des Jarvis Collegiate stolzieren sehen, Getuschel über seine Potenz und Gerüchte gehört, dass er eine detaillierte Liste seiner diversen Eroberungen führte mit einem komplizierten Bewertungssystem aus roter Tinte, Sternchen und goldenen Sternen. Außerdem wusste sie, dass er sich durchaus dazu herabließ, seine Informationen mit seinen Freunden zu teilen. Oft hatte sie frisch abgelegte Mädchen in der Toilette weinen hören, die alle der Illusion unterlegen waren, dass sie anders waren und diejenige sein würden, die ihn verändern, zur Vernunft und auf die Knie bringen würden.
Selbst mit vierzehn hegte Amanda keinerlei derartige Illusionen. Sie erwartete nicht, den draufgängerischen Frosch in einen langweiligen Prinzen zu verwandeln, und wollte es auch gar nicht. Was sie sich erhoffte – das Einzige,
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