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Tanz, Pueppchen, Tanz

Tanz, Pueppchen, Tanz

Titel: Tanz, Pueppchen, Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
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Man sieht es in ihren Augen und ihrer Haltung. Ist dir aufgefallen, wie still sie sitzt? Sie strahlt eine Ruhe aus, eine Gelassenheit, als ob …«
    »Als ob was?«
    »Ich weiß nicht.« Amanda starrt durch den Bogen auf der Windschutzscheibe, den die Scheibenwischer durch die Schneeflocken ziehen. »Es ist fast so, als wären ihre Dämonen endlich zum Schweigen gebracht worden.«
    Ben sieht sie an. »Willst du sagen, dass John Mallins ein Dämon war?«
    »Ich weiß nicht, was ich sagen will.«
    »Wir versuchen es morgen noch einmal.«
    »Was? Das ist nicht dein Ernst, oder? Auf gar keinen Fall kehre ich dorthin zurück.« Amanda massiert sich das Knie.
    »Hast du Schmerzen?«
    »Ich hab eine Stinkwut«, erwidert sie und ist dankbar für sein Lachen. »Du willst sie am Dienstag doch nicht wirklich auf schuldig plädieren lassen, oder?«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie aufhalten kann.«
    Amanda schüttelt frustriert den Kopf. »Sie ist offensichtlich verrückt.«
    »Du hast sie gehört. Sie wusste, was sie tat, und sie wusste, dass es falsch war.«
    »Dann vielleicht vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit.«
    »Das ist schwer zu begründen, wenn sie den ganzen Nachmittag mit einer Waffe auf den Mann gewartet hat. Das spricht doch für ein gewisses Maß an Vorsatz, meinst du nicht?«
    »Nicht schuldig wegen einer Geistesstörung?«
    »Welche Geistesstörung?«
    »Na, eben der, dass sie geistig gestört ist?« Diesmal lachen sie beide. »Meinst du, die Staatsanwaltschaft würde sich auf einen Handel einlassen?«
    »Warum sollte sie? Sie hat einen absolut wasserdichten Fall.«
    »Aber sie hat kein Motiv.«
    »Das braucht sie auch nicht«, erinnert er sie.
    »Und was, wenn ich eins brauche?«
    »Dann wirst du wohl noch ein paar Tage hier bleiben und abwarten müssen, was wir herausfinden.«
    »Scheiße.« Amanda massiert sich den Nacken. Ben hatte Recht – sie spürt bereits, wie sie am ganzen Körper steif wird. »Egal. Soll sie auf schuldig plädieren, wenn sie das will. Was kümmert es mich?«
    Ein leises Klingeln hallt im Wagen wider und prallt von den Fenstern zurück. Ben greift in die Innentasche seiner Lederjacke, zückt sein Handy und nimmt beim zweiten Klingeln ab. »Hallo.« Er blickt nach unten und hört aufmerksam zu. »Wann ist das passiert?«
    Amanda beobachtet die intensive Konzentration, mit der er zuhört, und denkt, dass diese Intensität immer eine seiner attraktivsten Eigenschaften gewesen ist. Er hat eine Art, einem das Gefühl zu vermitteln, dass man der einzig wichtige Mensch in einem Raum ist, denkt sie, hört das leise Echo einer Frauenstimme aus dem Hörer und empfindet für einen Moment brennende Eifersucht.
    Das ist alles die Schuld meiner Mutter, beschließt sie. Sie nach all den Jahren und unter derart extremen Umständen wiederzusehen, hat sie durcheinander gebracht und ein veritables Pulverfass lange verdrängter Erinnerungen und Gefühle ausgegraben.
    Sie versucht eine Bestandsaufnahme. Was empfindet sie genau? Wut, ohne Frage. Hilflosigkeit, unbedingt. Sorge, bestimmt. Verunsicherung, ja. Verärgerung ja. Frustration, und ob.
    Was sie nicht hat, ist: Mitleid.
    Was sie nicht empfindet, ist: Mitgefühl.
    Was sie nicht fühlt, ist: Zärtlichkeit.
    Auf keinen Fall.
    Ich glaube nicht, dass ich dir je gesagt habe, wie schön du bist.
    Wie kannst du es wagen, denkt Amanda und knetet ihre Nackenmuskeln, bis ihr die Finger wehtun. Wie kannst du es wagen, jetzt so etwas zu mir zu sagen? Was für eine Nummer willst du abziehen? Was glaubst denn du? Dass alles vergeben und vergessen ist, bloß weil ich hierher zurückgekommen bin und mich einverstanden erklärt habe, dich wiederzusehen? Dass ich Mitleid mit dir habe, weil du in dem hässlichsten Gebäude eingesperrt bist, das ich je gesehen habe, bekleidet mit dem hässlichsten Jogginganzug, den ich je gesehen habe, und in der dicken Baumwolle so zerbrechlich aussiehst und so, ich weiß nicht, so … menschlich, in Ermangelung eines besseren Wortes.
    Aber wir wissen alle, dass das nicht wahr ist, oder, Mutter?
    Nun, kein Wunder, dass dein Vater einen Herzinfarkt hatte, bei einer Tochter wie dir.
    Ja, das klingt mehr wie die Frau, die wir kennen und hassen gelernt haben.
    Ich glaube nicht, dass ich dir je gesagt habe, wie schön du bist.
    Nein, hast du nicht. »Und jetzt ist es verdammt noch mal zu spät.«
    »Was?«, fragt Ben und steckt sein Telefon wieder in die Jacke.
    »Was?«
    »Was ist zu spät?«
    »Was?«, wiederholt Amanda,

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