Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
Kälte mochte sein, dass er am ganzen Körper klatschnass war. Die mit Wasser vollgesogenen Kleider klebten ihm klamm an Armen und Beinen, und zusammen mit dem kühlen Luftzug, der über ihn hinwegstrich, sogen sie ihm das letzte bisschen Wärme aus dem Leib.
Er schlug die Augen auf, und es war dunkel, so dunkel, dass er für einen schrecklichen Moment von der Angst übermannt wurde, er habe bei dem Absturz sein Augenlicht verloren. Doch dann blinzelte er, und als sich seine Augen an die Finsternis gewöhnten, merkte er, dass er doch nicht gänzlich von Schwärze umgeben war. Irgendwo jenseits seines Blickfeldes schien ein schwaches, fahles Licht einzufallen und den Ort zu erhellen – wo auch immer er sich befinden mochte.
Er fing an, probeweise seine Glieder zu bewegen, immer auf den heißen, stechenden Schmerz wartend, der davon künden würde, dass er ihren Absturz nicht unverletzt überstanden hatte. Arme und Schultern ließen sich anstandslos bewegen, auch wenn er annahm, dass seine Haut von blauen Flecken und Abschürfungen übersäht war. Auch Rippen schienen keine gebrochen zu sein. Doch als er sich langsam aufrichten wollte, explodierte der Schmerz in seinem rechten Bein und obendrein erfasste ihn ein Übelkeit erregender Schwindel, sodass er sich stöhnend wieder zurücksinken ließ.
»Tarean?« Er vernahm das weiche Tapsen schwerer Tatzen, dann tauchte Bromms braune Bärenschnauze über ihm auf, der wieder seine wahre Gestalt angenommen hatte. »Den Göttern sei Dank, du lebst.«
»Bromm«, wollte er sagen, doch seine Stimme versagte und heraus kam nur ein Krächzen.
»Warte«, sagte Bromm, verschwand und kam kurz darauf mit einem Wasserschlauch zurück. »Setz dich ganz langsam auf, Junge, du hast einen bösen Schlag auf den Kopf bekommen.«
Mithilfe des Bären richtete Tarean den Oberkörper halb auf und nahm einige Schlucke von dem schon leicht schal schmeckenden Wasser. Hinter seiner Stirn pochte der Schmerz und wollte auch nicht vergehen, aber zumindest drehte sich nicht erneut die ganze Welt um ihn. »Mein Bein«, brachte er mühsam hervor.
»Ja«, brummte der Bär. »Es sieht aus, als wäre es gebrochen.« Er beugte seinen Kopf zu Tarean hinab. »Schling deine Arme um meinen Hals, dann trage ich dich ins Licht und werde sehen, was ich tun kann.« Der Junge tat, wie ihm geheißen, und der Werbär richtete sich auf die Hintertatzen auf und zog ihn in eine aufrechte Stellung. Dann trug er ihn einige Schritt weit, und Tarean biss die Zähne zusammen, um nicht zu wimmern, als er dabei gegen sein verletztes Bein stieß. Schließlich legte Bromm ihn, mit dem Rücken gegen einen flachen Felsen gelehnt, wieder ab, und durch einen breiten Spalt weit oben über seinem Kopf konnte Tarean ein Stück grauen Himmels erkennen.
»Wo sind wir und was ist geschehen?«, fragte er.
»Ganz genau kann ich dir das auch nicht sagen«, erwiderte der Bär schnaufend. »Aber ich glaube, dass wir bei unserem Absturz auf einem Hang aufgeschlagen sind, der einen Teil der Wucht abgefangen hat. Dann sind wir ihn hinabgerutscht und schließlich durch die Decke dieser Höhle gebrochen. Beim Aufprall hier unten sind auch die letzten Reste unseres Gefährts zerschellt. Und nun sitzen wir hier.«
Tarean wandte den Kopf und sah, was der Bär meinte. Unterhalb des Deckendurchbruchs lagen Geröll und kleinere Felsbrocken und dazwischen ragte das Wrack von Karnodrims Flugschiff empor wie das Gerippe eines großen, lange verendeten Tieres. Der Rumpf war völlig zertrümmert, und noch im Umkreis von mehreren Schritt Entfernung lagen zersplitterte Planken und verbogene Reste der Metallkästen, die sein Antrieb gewesen waren. Tareans Blick wanderte zur hohen Decke, und es überraschte ihn kaum, eine Reihe der violett schimmernden Kyrillian-Kristalle zwischen den Ritzen und Felsnasen schweben zu sehen. »Unglaublich, dass wir das überlebt haben«, murmelte er.
Der Bär nickte. »Deine Dreigötter müssen ein waches Auge auf dich geworfen haben. Nun müssen wir zusehen, dass du auch am Leben bleibst. Beiß die Zähne zusammen, ich werde versuchen, dein Bein zu richten und zu schienen. Aber es wird wehtun.« Er ergriff mit kräftigen Pranken das Bein und zog es ruckartig wieder in eine gerade Stellung.
Tareans Schrei hallte durch die gesamte Höhle.
Als er zum zweiten Mal an diesem unseligen Tag erwachte – dem Licht zufolge, das von draußen durch den Spalt fiel, musste es später Nachmittag sein –, fühlte er sich kaum besser.
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