Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
Stille. Schwerfällig erhob sich Ieverin und trat vor. »Gibt es noch jemanden, außer meinem Sohn, der zugunsten dieses Ritters sprechen möchte?«
Sein Blick wanderte über die versammelten Würdenträger. Während die Gelehrten und Zunftmeister regelrecht verschreckt wirkten, unfähig, eine rasche Entscheidung zu fällen, schienen die Krieger, wie einer geheimen Absprache folgend, nicht gewillt, das Wort zu ergreifen.
Der König nickte bedächtig. »Da habt Ihr unsere Antwort, Ritter Wilfert. Kehrt zurück zu Hochkönig Jeorhel und Euren Soldaten. Unsere besten Wünsche begleiten Euch – aber mehr können wir Euch nicht bieten.«
Der Ritter starrte ihn einen Moment schweigend an, und schließlich sprach er: »So gibt es nichts weiter zu sagen. Habt Dank, dass Ihr mich empfangen habt, Hoheit, und mögen die Götter verhindern, dass Ihr Eure Entscheidung irgendwann bereut.« Er verbeugte sich, drehte sich um und ging.
Als er durch das offene Portal trat, löste sich Auril von ihrem Platz. Während der Streit im Inneren sich Prinz Iegi zuwandte, folgte sie dem Heerführer nach draußen auf die weitläufige Plattform. »Ritter Wilfert.«
Er wandte sich um und blickte sie überrascht an. »Ja?«
»Grüßt meinen Vater von mir, wenn Ihr zum Heer zurückkehrt. Würdet Ihr das für mich tun?«
Er musterte sie einige Herzschläge lang, dann trat Erkennen auf seine Züge. »Ihr seid Auril, die Tochter Sinjhens, nicht wahr?«
Die Albin nickte.
»Was tut Ihr hier?«
»Das ist eine lange Geschichte, die vermutlich nach einem gemütlichen Kaminfeuer an einem langen Winterabend verlangt«, erwiderte sie.
Er nickte. »Also gut. Ich werde ihm Euren Gruß ausrichten. Aber warum begleitet Ihr mich nicht zurück zum Heer? Euer Vater würde sich sicher freuen, Euch zu sehen.«
»Das geht nicht«, meinte Auril. »Ich habe hier noch etwas zu tun, glaube ich.«
»Dann wünsche ich Euch mehr Glück dabei, als es mir beschieden war.«
Er wollte sich gerade wieder abwenden, doch die Albin hielt ihn zurück. »Vielleicht interessiert es Euch, dass Tarean noch lebt und At Arthanoc bereits fast erreicht hat.«
»Tarean?«, fragte er verblüfft.
»Ja. Erzählte Sinjhen Euch nicht, dass er mich damit beauftragt hat, den Jungen zu finden und sicher durchs Feindesland zu geleiten?«
Der Ritter schüttelte den Kopf. »Er sagte mir nur, die Alben würden ein Auge auf ihn haben, so weit es ihnen möglich sei.« Ein schmales Lächeln hellte sein von Kriegssorgen verdunkeltes Antlitz ein wenig auf. »Es freut mich zu hören, dass Ihr mit ihm gereist seid.«
»Zumindest bis wir getrennt wurden«, erwiderte Auril. »Aber habt keine Sorge. Auch ohne mich wird er seinen Weg gehen. Er war fest entschlossen, bis in die Hallen des Hexers vorzudringen.«
Das Lächeln verschwand, und der Ritter seufzte. »Ich weiß. Und dennoch hoffe ich, dass wir vor ihm dort eintreffen, jetzt, da wir praktisch den ganzen Weg bis zu Calvas’ Schwelle zurückgelegt haben, während die Aufmerksamkeit des Hexers auf den Sohn des Fluchbringers gerichtet war.«
Seine Worte weckten in der Albin Erinnerungen an ein Gespräch, das sie vor einer gefühlten Ewigkeit an Bord von Dankwarts Kahn auf dem Riva geführt hatte. »Ja, mein Vater sprach von diesem irrwitzigen Plan. Abgesehen davon, dass Ihr dabei noch immer alle umkommen könnt: Wie konntet Ihr das nur tun? Ihn ziehen lassen, um den Hexenmeister herauszufordern? Nur weil Ihr glaubtet, das Wasser des Sehens kenne seine Bestimmung? Was kann dieser Orakelspruch nicht alles bedeuten.« Sie suchte nach den Worten.
»Ein Schatten der Vergangenheit erhebt sich.
Der Sohn des Fluchbringers geht nach Osten.
Das Drachenfeuer brennt in der Halle aus Eis.
Und so beginnt es …»
Sie schwieg kurz, und der Ritter nickte. »Ganz recht. Aber da war noch mehr.«
Die Albin hob die Augenbrauen. »Noch mehr?«
»Ja, das Orakel sprach ein zweites Mal, kurz darauf.«
»Was sagte es?«
»Was lange getrennt war, steht Seite an Seite.
Der Vater bittet den Sohn um Vergebung.
Das Dunkel erlischt in den Flammen aus Licht.
Und so endet es …»
Er seufzte. »Es ist mir nicht leicht gefallen, Auril. Das müsst Ihr mir glauben. Hätten der Hochkönig und ich irgendeinen anderen Weg gesehen, wir hätten ihn beschritten. Aber auch Ihr dürftet das erstaunliche Zusammentreffen der Ereignisse erkannt haben. Irgendetwas hat Tarean tatsächlich nach Osten gerufen.«
»Ja«, sagte sie leise. »Da habt Ihr recht.«
Wilfert trat auf
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