Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
sah, öffneten sich drei gewaltige Eisentore am Fuße der äußersten Mauer, und ein schier endloser Strom von Wolfskriegern ergoss sich aus ihnen. Mit wildem Kampfgeheul antworteten sie dem Ruf ihres dämonischen Heerführers, und gleichzeitig erfüllte ein markerschütterndes Brüllen die Luft zwischen grauem Fels und grauen Wolken, denn auf den Zinnen über dem mittleren Tor thronte der Glutlanddrache und reckte voller Zorn den gehörnten Schädel zum Himmel.
Das ist das Ende, dachte Wilfert.
Tarean spürte, wie sich seine Eingeweide zusammenzogen. Er blickte aus dem Fenster und sah, wie dort unten auf der Ebene jenseits der Mauern des wahren At Arthanoc eine Schlacht entbrannte, die man kaum als solche bezeichnen konnte. Es war vielmehr ein Schlachten! Die Höfe und Hallen des gewaltigen Bollwerks, die der Zauber des Hexers bis zu diesem Augenblick vor den Streitern aus dem Westen verborgen hatte, spien Tausende und Abertausende Grawls aus. Wie Heuschrecken über ein Kornfeld fielen sie über die Reihen der Kämpfer aus Albernia, Breganorien und Rûnland her, und nichts schien sie aufhalten zu können.
Einmal donnerten in der Ferne die Katapulte, einmal jagten gleißende Bälle aus Licht den angreifenden Wolflingshorden entgegen, um beim Aufprall furchtbare Verheerung unter ihnen anzurichten. Dann aber breitete der Glutlanddrache seine ledrigen Schwingen aus und schwang sich mit machtvollen Schlägen in die Lüfte empor. Sein riesiger Schatten glitt über die Heere hinweg, als Igarkjuk den Kriegsmaschinen des Hochkönigs entgegenrauschte, und dann ging eine brüllende Feuerwolke aus seinem Maul auf seine Opfer hernieder. Erschüttert wandte sich der Junge von dem grausigen Schauspiel ab.
Calvas’ zufriedenes Lachen hallte durch den Thronsaal. »Ja. Verschließe nur die Augen vor dem Tod deiner Freunde, denn du wirst sie nicht retten können. Und auch für dich gibt es keine Rettung! Komm zu mir, werde zum Werkzeug in meiner Hand, und dein Schicksal ist endlich besiegelt.«
Bevor Tarean reagieren konnte, hatte der Hexer bereits die Hand ausgestreckt und ein Wort der Macht ausgesprochen. Der Junge fühlte sich wie von der Faust eines unsichtbaren Riesen gepackt, als er von der Galerie quer durch den Saal geschleudert wurde. Der Aufprall auf die Plattform vor Calvas’ Thron trieb ihm die Luft aus den Lungen und prellte ihm Esdurial aus der Hand. Klirrend schlitterte das Schwert über den Steinboden und blieb erst mehrere Schritt weit entfernt in der Mitte der Brücke liegen.
Tarean hustete, rappelte sich auf und stolperte mit verzweifelt ausgestrecktem Arm auf die Waffe zu. Aber schon stand der Hexer hinter ihm und schickte ihn mit einem weiteren magischen Schlag zu Boden. Dann packte er ihn am Kragen seines Lederharnischs, riss ihn mit unmenschlicher Kraft herum, und halb auf die Knie gezwungen presste er ihm die knochigen, spinnenbeingleichen Finger auf die Stirn. Auf seinem dunklen, verzerrten Antlitz lag ein triumphierender Ausdruck. »Jetzt, mein törichter, junger Held, gehörst du mir.«
Im Rücken des Hexers wuchs langsam die gewaltige Gestalt des Grimmwolfs in die Höhe. Der glühende Blick des Dämons war auf Tarean gerichtet, und dem Jungen wurde eiskalt, als er spürte, wie seine Lebenskraft aus ihm herauszufließen begann, wie Wasser aus einem leckenden Tongefäß.
»Schildreihe geschlossen halten! Linke Flanke, zusammenbleiben! Lasst niemanden durchbrechen!« Wilfert riss sein Pferd herum, und sein behelmter Kopf ruckte wild von links nach rechts, um die Schlachtreihe zu überblicken. Immer wieder brachen die Wolfskrieger mit selbstmörderischen Angriffen durch die Linien der Menschen, und mit jedem Mal fiel es dem Ritter schwerer, die Lücken zu schließen.
Hinter ihm, auf der Kuppe des Feldherrenhügels, kauerten fünfzig albische Bogenschützen und beobachteten mit gespannten Langbögen und besorgten Mienen den Himmel. Bisher hatte der Glutlanddrache erst einen Anflug auf den Hügel unternommen. Der allerdings hatte sie beinahe alle das Leben gekostet. Nur das Schwert Jeorhels hatte noch zwischen ihnen und dem sicheren Tod gestanden, denn der Albenkönig hatte das grüne Feuer der Waffe heraufbeschworen, und das plötzliche Aufgleißen der Klinge hatte den Drachen geblendet und zornig abdrehen lassen. Wenn er zurückkam und das Überraschungsmoment nicht mehr auf ihrer Seite war, würde sich zeigen, ob eine Wolke Pfeile dem Ungeheuer ebenso Einhalt zu gebieten vermochte. Wilfert
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