Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
gegenüber, das offenbar zu sehr von dem Gedanken beseelt war, Tod zu bringen, um seinen eigenen Tod anzunehmen.
Doch dann wirbelte ein Stab durch die Luft und eine eiserne Manschette traf den Grawl schwer am Hinterkopf. Mit einem Grunzen ging er in die Knie, verdrehte die Augen und kippte vornüber. Hinter ihm stand der Vogelmensch, blutüberströmt, keuchend, aber mit einem unübersehbaren Ausdruck der Erleichterung auf dem Gesicht. »Das war knapp. Diese Bestien sind zäher, als ich gedacht hätte.«
Tarean konnte dem nur zustimmen. »Ja, das sind sie.«
Einen Augenblick standen sie sich wortlos gegenüber, beide leicht schwankend und zu erschöpft, um ihren Sieg wirklich auskosten zu können. Jetzt, wo Tarean genauer hinschauen konnte, fiel ihm auf, dass der Vogelmensch erheblich jünger zu sein schien, als er ihn auf den ersten Blick geschätzt hatte. Es war kein Mann, der da vor ihm stand, sondern vielmehr ein Junge, keinesfalls älter als er selbst. Der Brustpanzer, die Waffe, die breiten Schultern und das selbstsichere Auftreten hatten ihn im ersten Moment in die Irre geführt. »Danke, dass Ihr mir das Leben gerettet habt«, sagte er.
Sein Gegenüber nickte und verbeugte sich leicht. »Ich kann den Dank nur zurückgeben. Ich fürchte, ich habe die Gefahr unterschätzt, in die ich mich begab, als ich zu rascher Hilfe eilte.«
»Umso dankbarer bin ich Euch dafür, dass Ihr es getan habt. Ich glaube nicht, dass ich diese fünf Monstren alleine hätte überwältigen können.«
Ein dünnes Lächeln, ein fernes Abbild seines dreisten ersten Auftritts, breitete sich auf den Zügen des Vogelmenschen aus. »Nein, das glaube ich auch nicht. Aber lass uns die Förmlichkeiten beiseite lassen.« Er trat auf ihn zu und hielt ihm den Arm zum Gruße hin. »Mein Name ist Iegi.«
Tarean ergriff ihn. »Ich heiße Tarean.«
Iegi lächelte. »Sei mir gegrüßt, Tarean.« Dann trübten sich plötzlich seine Augen, und er knickte in den Knien ein.
»Vorsicht!« Unwillkürlich griff Tarean auch mit der anderen Hand zu und stützte den neu gewonnenen Freund. Abschätzend musterte er ihn und bemerkte dabei, dass Blut aus einem tiefen Schnitt am rechten Oberschenkel des Vogelmenschen quoll und an seinem Bein hinunterlief. »Du hast einen bösen Hieb abbekommen. Wir sollten besser hineingehen und schauen, ob wir Verbandszeug finden.«
»Ich wage nicht zu widersprechen.« Das Grinsen in Iegis Gesicht wirkte gequält.
Gemeinsam humpelten sie zum Wachturm hinüber, der heute ohne Zweifel mehr Mord und Totschlag gesehen hatte als in den gesamten Jahren seit seiner Erbauung. Im Inneren ließ Tarean Iegi auf einen der Stühle sinken und begann, die Regalbretter und den Fußboden vor den Regalen zu durchstöbern. Die Grawls hatten wild gehaust, doch entweder kannten sie traditionelle Arzneien nicht oder sie waren nicht auf Beute aus gewesen, denn nach kurzer Zeit fand der Junge zu seiner Erleichterung einen unangebrochenen Beutel mit Blutmoos und einige Binden, die unangetastet in einer Ecke lagen. Auch ein Krug mit scharf riechendem Alkohol war vom Kampfgeschehen verschont geblieben.
Tareans Kenntnisse der Heilkunde hielten sich in Grenzen, doch Ilrod hatte Wert darauf gelegt – und dafür war der Junge dem Waffenmeister heute zum ersten Mal dankbar –, dass ihnen nicht nur beigebracht wurde, wie man anderen Wunden zufügte, sondern auch, wie man diese versorgte, sollte es denn nötig werden. Also behandelte er die zahllosen kleineren Schnittwunden und Abschürfungen, die sie erlitten hatten, mit Alkohol. Auf die größeren presste er kleine Kissen aus Blutmoos, die er dann mit den Leinenbinden umwickelte.
Die ganze Zeit über hielt Iegi die Augen geschlossen und murmelte leise in einer fremden Sprache vor sich hin. Dabei hielt er mit der schmutzigen Rechten ein Amulett umklammert, das er, mit einem dünnen Lederband um den Hals befestigt, unter dem Brustharnisch getragen und nun hervorgeholt hatte.
»Was machst du da?«, erkundigte sich Tarean, als er den Verband um den Oberschenkel des Vogelmenschen mit leisem Ächzen festzog.
Iegi öffnete die schwarzen Augen und sah ihn an. »Ich bitte die Lichtgefiederten darum, dass sie die Heilkräfte, die diesem Kleinod innewohnen, freisetzen und mir dabei helfen, meine Schwäche zu überwinden.«
»Ist das so ähnlich wie die Worte der Alten Sprache, welche die Priester und Gelehrten in Formeln bringen, um die Alte Macht herbeizubeschwören, die in allen Dingen liegt?«
»Ich
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