Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
wieder, entschied er und machte sich eilig auf den Weg.
Da vernahm er plötzlich ein leises Pfeifen aus einer Seitengasse. Als er den Kopf hob, sah er einen Mann, der ihm verschwörerisch winkend gebot, näher zu kommen. Der Mann sah ungepflegt und verhärmt aus und trug mehrere Schichten Lumpen am Leibe – ein Stadtstreicher möglicherweise. »He, junger Herr, kommt mal her.«
»Was wollt Ihr?«, fragte Tarean misstrauisch.
»Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr nach Beornhard dem Krieger sucht«, gab der Mann mit gesenkter Stimme zurück. »Ich kann Euch vielleicht helfen.«
»Vielleicht?«
Der Fremde druckste ein wenig herum. »Wisst Ihr, ich bin ziemlich hungrig, werter Herr. Und mit leerem Magen fällt es mir schwer, mich der Dinge zu erinnern, die wirklich von Bedeutung sind.« Er schielte listig zu Tarean auf. »Etwa, wo das Haus steht, das Beornhard dem Krieger als Heim dient.«
»Ihr wisst, wo Beornhard lebt?«, rief Tarean aufgeregt.
»Pst, nicht so laut, werter Herr«, zischte der Bettler. »Es muss ja nicht jeder erfahren.«
»Also gut«, flüsterte der Junge und kramte aus seiner Tasche ein Stück Hartwurst und etwas Brot hervor. Beides hielt er dem Mann hin, der gierig danach griff und es sich in den Mund stopfte. Kauend grinste er Tarean an, der eine ungeduldige Geste machte. »Jetzt zeigt mir den Weg und es soll sich für Euch lohnen.«
Der Fremde nickte eilfertig und humpelte los. »Kommt, kommt, junger Herr …«
»Das ist das Haus?«, fragte Tarean leise, als sie ein paar Straßen weiter im Sichtschatten eines Schuppens zum Stehen kamen und auf ein einige Schritt entferntes, dreistöckiges Fachwerkgebäude mit spitzem Giebel blickten, dessen brüchige Fassade eindeutig schon bessere Zeiten gesehen hatte. Warum er immer noch flüsterte, vermochte der Junge selbst nicht zu sagen, aber das verstohlene Gebaren, das sein Fremdenführer an den Tag legte, schien Heimlichkeit anzumahnen.
»Ja, werter Herr, das ist es«, bestätigte der Bettler und nickte zur Bekräftigung. Dann hielt er erwartungsvoll die runzlige Hand auf. Innerlich seufzend ließ Tarean ein paar kleine Münzen hineinfallen, und der Mann zog sich unter vielfachen Verbeugungen zurück, bevor er sich umdrehte und humpelnd die Straße zurückhastete, durch die sie gekommen waren.
Der Junge wandte sich wieder dem Haus zu. Hinter keinem der mit gelben Butzenscheiben verglasten Fenster brannte Licht, und auch der Eingang, zu dem einige Stufen hinaufführten, lag im Dunkeln. Irgendwie wirkte das Haus unangenehm verlassen. Trotzdem musste er natürlich sein Glück versuchen. Er ging über die Straße, erklomm die fünf Treppenstufen zur Haustür und klopfte kraftvoll an.
Knarrend schwang die Tür nach innen auf.
Das ist kein gutes Zeichen , dachte Tarean. Zögernd trat er ins Innere, in eine breite Diele, von der mehrere Türen abgingen und eine Treppe in den ersten Stock führte. »Hallo?«, rief er. »Herr Beornhard?« Es kam keine Antwort. Vielleicht ist er ausgegangen? Aber warum hat er dann seine Tür offen stehen lassen?
Unschlüssig stand der Junge eine Weile lang da, dann entschied er, sich ein bisschen umzusehen. Es behagte ihm zwar nicht, im Haus eines Fremden herumzuschnüffeln, aber sein Gefühl sagte ihm, dass der Kampfgefährte Wilferts nicht einfach nur zum Abendbrot in ein benachbartes Gasthaus eingekehrt war.
Vorsichtig öffnete er Tür um Tür und ließ den Blick durch die dahinterliegenden Räume schweifen. Die Wohnstube wirkte völlig normal, sah man einmal davon ab, dass die Asche im offenen Kamin gänzlich erkaltet war. Auch die Küche erweckte den Eindruck, als sei sie schon lange Zeit nicht mehr benutzt worden. In einer Schale lagen kleine, gelbe, verschrumpelte Äpfel, und ein halber Laib Brot daneben war regelrecht versteinert. Wo immer der Bewohner dieses Hauses weilte, er war jedenfalls seit etlichen Tagen nicht mehr hier gewesen.
Im ersten Stock betrat Tarean ein Studierzimmer, und dort hatte jemand heftig gewütet. Alle Schubladen des hölzernen Sekretärs, der vor dem Fenster stand, waren herausgerissen, und der Inhalt – Schreibutensilien, Pergamentbögen und Notizbüchlein – lag auf dem Boden verstreut. Die im Raum befindlichen Stühle hatten die Vandalen umgeworfen, ebenso eines der zwei Regale, in denen sich einst Schriftrollen und einige Bücher befunden hatten, die nun ebenfalls zerfleddert in allen vier Ecken des Raums verteilt waren.
Eine halb von der Wand gerissene Landkarte der
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