Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
Mantel und Harnisch, schnallte Esdurial ab und wickelte Waffe und Rüstung in den Umhang. Dann huschte er um zwei Schuppen herum und gelangte so hinter den Heuwagen. Ohne dass der Bauer es bemerkte, schob er sein Bündel so tief er konnte unter das Stroh, verrieb noch hastig eine Hand voll Dreck in seinem Gesicht und hockte sich dann hinten auf die Ladefläche.
Ich bin ein einfacher Junge vom Lande. Ich darf passieren …, versuchte er den Verstand der Wächter zu beeinflussen.
Und das Glück war ihm hold. Die Wölfe machten sich nicht einmal die Mühe, das Fuhrwerk anzuhalten und mit ihren Lanzen im Stroh herumzustochern, sondern winkten den Bauern einfach durch. Als sie durch das Tor rumpelten, hielt Tarean den Blick gesenkt und tat so, als beschäftige ihn der Dreck unter seinen Fingernägeln mehr als alles andere auf der Welt.
Er wartete noch, bis das Fuhrwerk um die nächste Ecke gebogen war, dann zog er feixend seine Ausrüstung hervor, sprang vom Wagen und huschte in eine Seitengasse, um sich wieder anzukleiden. Derweil überdachte er sein weiteres Vorgehen. Es galt, Beornhard zu finden, den Gefährten Wilferts, und ihn dazu zu bewegen, sich als kundiger Führer der gefährlichen Reise nach At Arthanoc anzuschließen.
Das war in einer Stadt wie Agialon leichter gesagt als getan. Der Ritter hatte dem Jungen mit dem Südviertel zwar den ungefähren Wohnort seines Freundes genannt, doch diese Ortsangabe erwies sich als ausgesprochen vage, wie er feststellen musste, als er durch die Straßen der Metropole wanderte, die übrigens keineswegs so sauber waren, wie es die Geschichten erzählten. Der Schlamm vieler Sommer, den zahllose Füße von der harten Arbeit auf den Feldern und Weiden rund um die Metropole eingeschleppt hatten, bedeckte das Kopfsteinpflaster fast vollständig, und Unrat türmte sich in vielen Hausecken zu stinkenden Haufen. Die Fassaden der Häuser zeigten noch heute Spuren der furchtbaren Kämpfe, die vor sechzehn Jahren in Agialon gewütet hatten, und stellenweise säumten rußgeschwärzte Ruinen wie faulige Zähne den Straßenrand, die instandzusetzen sich niemand die Mühe gemacht hatte.
Das Südviertel bestand, vor allem entlang des an beiden Ufern von befestigten Hafenanlagen gesäumten Riva, zum größten Teil aus Lagerhallen und Getreidespeichern. Schäbige Spelunken, billige Herbergen und heruntergekommene, zweistöckige Wohnhäuser füllten die Ecken und Nischen dazwischen aus. Mit zunehmender Entfernung zum Hafen gesellten sich Handwerksbetriebe hinzu: Gerber, Schuster, Kürschner und Schmiede, die ihr Gewerbe am Schnittpunkt zwischen den zuliefernden Bauern des Umlandes, dem Handel zu Wasser und den Abnehmern in den anderen Stadtvierteln eingerichtet hatten. Da Tarean nicht die geringste Ahnung hatte, welcher Profession Beornhard inzwischen nachging, einem ungeschriebenen Gesetz nach aber Schankwirte und Barbiere stets am besten über die Bewohner und Ereignisse ihrer Umgebung Bescheid wussten, entschied sich der Junge, seine Nachforschungen in den Gasthäusern des Südviertels zu beginnen.
Der Nachmittag zog dahin, und mit ihm zog Tarean von Tresen zu Tresen. Bald hatte er sich so viel des wässrigen Gebräus, das man hier Bier nannte, durch die Kehle fließen lassen, dass sich sein Kopf anfühlte, als sei er in Watte gepackt und er alle paar Straßen in eine dunkle Nische verschwinden musste, um sich zu erleichtern. »Der Schiffer«, »Zur Krone«, »Ratibors Einkehr« – die Namen der Schänken verschwammen in seinem Geiste zu einem bedeutungslosen Buchstabenbrei. Und niemand schien etwas über einen Kriegsveteranen namens Beornhard zu wissen oder aber wissen zu wollen.
Draußen wurde es langsam dämmrig, und Tarean konnte sich kaum noch der Erkenntnis verschließen, dass sein Plan für heute gescheitert war. Natürlich hätte er seine Suche auch in den Abendstunden fortsetzen können, doch in gleichem Maße, wie das Tageslicht schwand, kamen dem Jungen mehr und mehr Zweifel, ob es eine so schlaue Idee wäre, sich als Fremder des Nachts im Südviertel herumzutreiben. Er trug zwar ein Schwert an der Seite und noch immer seinen zerschundenen Lederharnisch unter dem Mantel, doch vor einem gut gezielten Dolchstoß zwischen die Rippen oder einem Knüppelhieb auf den Hinterkopf würde ihn das kaum bewahren. Und grün und gelb gewandete Gardisten waren ihm den ganzen Tag noch nicht über den Weg gelaufen. Ich suche mir lieber einen sicheren Platz zum Schlafen und komme morgen
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