Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
gespannten Kette zwar imstande war, des Nachts das heimliche Ein- und Auslaufen von Schmuggelschiffen zu unterbinden, für eine kleine Gruppe geübter Schwimmer indes kein Hindernis darstellte.
Eine unbestimmte Zeit lang glitten sie stromabwärts dahin, während hinter ihnen die gewaltige Metropole der Menschen, die jetzt unter der Herrschaft der Wölfe stand, im Dunkel der Nacht verschwand. Und so finster wie die sternlose Nacht über ihren Köpfen waren auch Tareans Gedanken. Beornhard war tot oder ein Gefangener der Schergen des Hexers. Auf seiner weiten, gefahrvollen Reise nach At Arthanoc, zur Festung des Hexenmeisters, war er also einmal mehr ganz auf sich allein gestellt.
Tarean träumte.
Er stand in der Mitte eines kreisrunden Platzes. Der Boden unter seinen Füßen bestand aus glänzendem, grauem Kopfsteinpflaster. Zwölf spitz zulaufende, roh behauene Steinsäulen umstellten die freie Fläche, die Welt dahinter – und darüber – lag in tiefer Dunkelheit.
Plötzlich spürte der Junge, dass er nicht mehr allein war. Er drehte sich um, und da trat ein Grawl aus dem Schatten in die Lichtinsel des Runds. Sein räudiges, braunes Fell stand an vielen Stellen struppig ab, seine Brünne war rostig, und dunkelrote Spritzer getrockneten Blutes zogen sich über ihre Brustpartie. Tiefe Scharten verunzierten das Blatt seiner kurzen Axt und zeugten von den zahllosen Kämpfen, die der Wolfling in seinem Leben bereits überstanden hatte.
Der Wolf riss die Waffe in die Höhe und hetzte ihm entgegen, doch Tarean hob sein eigenes Schwert, das er plötzlich in den Händen hielt, und streckte das Untier mit einem mächtigen Hieb nieder.
Aus den Augenwinkeln nahm er eine zweite Bewegung wahr, wirbelte herum und sah, dass ein weiterer Wolfsmensch hinter einer der Steinsäulen hervorgetreten war. Er schwang eine breite Keule mit schwarzen Metallnägeln und machte einen Satz auf den Jungen zu. Der jedoch wich zur Seite aus, vollführte eine halbe Drehung und schlug dem Ungeheuer die Klinge genau zwischen die Schulterblätter. Aber er vermochte kaum Atem zu holen, da war schon der dritte Grawl bei ihm, dann ein vierter, ein fünfter.
Ohne sich aus dem Todeskreis, in dem er sich befand, lösen zu können, stand Tarean da, und er kämpfte und kämpfte, doch von allen Seiten strömten ohne Unterlass die Wölfe auf ihn ein. »Esdurial«, rief er in höchster Not. »Esdurial!« Doch das Feuer der Waffe erwachte nicht, die Klinge blieb matt und kalt. Voller Entsetzen hob er sie vor sein Gesicht und sah, dass das Schwert, das er führte, nicht Esdurial war, sondern eine schwarze Klinge der Wolflinge.
Die Wölfe aber, die ihn mittlerweile umringten wie ein Rudel Raubtiere die todgeweihte Beute, zogen sich auf einmal zurück, und aus dem Schatten der Säulen schälte sich eine weitere Gestalt: der Schwarzpelz mit dem roten Brandmal auf der Stirn. Seine Augen schienen zu brennen, und sein Maul, aus dem der Geifer troff, war zu einem verächtlichen Grinsen verzogen, das seine fingerdicken Reißzähne entblößte. »Wir sehen uns wieder, Menschensohn«, grollte der Wolfskrieger.
Panisch stolperte Tarean rückwärts, rutschte aus und fiel zu Boden. Er lag in einem Meer aus toten Wolfsleibern und einer See aus Blut …
»Tarean.«
Der Junge zuckte zusammen und riss die Augen auf. Sein Atem ging flach, und er spürte, wie ihm das Hemd an der Brust klebte. Dreigötter! Was für ein Albtraum! , durchfuhr es ihn, während die schrecklichen Bilder nur widerwillig verblassend vor seinem inneren Auge tanzten, wie bunte Flecken, nachdem man in die Sonne geschaut hat.
»Tarean, was ist los mit dir?«
Erst jetzt bemerkte er, dass jemand neben ihm kniete. Er zwinkerte, und es dauerte einen Augenblick, bis er Auril erkannte. Ihre Hand lag auf seiner Schulter, und sie sah ihn besorgt an. Dabei entging dem Jungen nicht, dass ihre Augen ein, zwei Mal zu seiner Hüfte hinunterzuckten, um die noch immer Esdurial geschnallt war, und erst jetzt bemerkte er, dass er den Griff des Schwerts so fest umklammert hielt, dass er Mühe hatte, seine Hand zu lösen. »Ich … ich hatte einen Albtraum.«
Sie richtete sich auf und deutete auf seine Waffe. »Das muss ein schöner Albtraum gewesen sein. Du hast im Schlaf gestöhnt und gemurmelt, und auf einmal gab es dieses seltsame Geräusch und dein Schwertgehänge fing an zu leuchten wie eine nondurische Neujahrslaterne.«
»Was sagst du?!« Mit einem Ruck setzte sich Tarean auf und blickte auf die
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