Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
Herrschaftsgebiets, dem sogenannten wilden Herzen Nondurs, eingenistet hatten wie ein Geschwür in einem alternden Leib. Bereits seit Jahrhunderten widersetzten sich ihre Krieger und Schamanen erfolgreich jedem Versuch, sie durch den schmalen Streifen Tiefland zwischen den Grauen Bergen und den Glutlanden in die östlichen Steppen zurückzutreiben, von wo sie einst gekommen waren.
All das belastete die Staatskasse von Nondur und – über eine Vielzahl von Steuern nach unten weitergereicht – auch die Bürger von Durai. Und so kam es, dass dieser Tage an vielen Gebäuden die Farbe abblätterte und die Fassade bröckelte. Schmale Gässchen, in denen einst unabhängige Händler und kleine Handwerksbetriebe ansässig gewesen waren, wirkten wie ausgestorben. Und bunte Flicken auf den schillernden, aber auch dünnen Beinkleidern, welche die Nondurier bevorzugt trugen, waren in bestimmten Schichten der Bevölkerung zu einer regelrechten Mode geworden.
Das alles entzog sich natürlich dem flüchtigen Blick des unwissenden Fremdländers. Dem zufälligen Besucher bot sich Durai nach wie vor als die strahlende, geschäftstüchtige Metropole dar, die sie in den Erzählungen Reisender, die aus dem Süden in die Kernlande von Breganorien kamen, stets gewesen war. Ein Wald schlanker Türme mit roten, blauen oder vergoldeten Spitzen erhob sich über der Stadt. Prächtige Kuppeln auf den Dächern der Paläste wohlhabender Bürger glänzten in der Sonne. Und an vielen Häusern hingen bunte Stoffbahnen, die von der Zugehörigkeit eines Hausstandes zu einer der einflussreichen Familien Durais kündeten. Man musste schon wirklich genau hinschauen und zuhören, um die Missstände zu bemerken, die sich in Durai – im Gegensatz zu den deutlich sichtbaren Wunden der Besatzung, die Agialons Stadtbild verschandelten – zumeist hinter verschlossenen Türen sowie den kunstvoll gearbeiteten hölzernen Fensterläden versteckten, die an vielen Gebäuden der Stadt angebracht waren und deren Bewohner nicht nur vor der Sonne schützten, sondern auch vor den Blicken neugieriger Fremder und noch neugierigerer Bekannter.
Tarean und seine Gefährten hatten weder einen Blick für den Prunk noch für die Schattenseiten der Nondurier-Metropole, während sie – von ihrer spektakulären Landung noch halb betäubt – von einer bis an die Zähne bewaffneten Abteilung der Stadtwache durch die Straßen eskortiert wurden. Bromm hatte sich geistesgegenwärtig direkt nach ihrer Landung in einen Menschen verwandelt. Doch auch so hatten sie unter den Marktbesuchern noch für genug Aufregung gesorgt, als ihre höchst gemischte Gruppe abgeführt worden war. Besonders Hafftas Anwesenheit wurde mit grimmigen Blicken zur Kenntnis genommen, und mehr als ein Nondurier schenkte ihr ein Knurren oder spuckte auf den Boden, als sie vorüberschritt.
»Wir wollen einen der Stadtoberen sprechen! Wisst ihr denn, wer ich bin?«, beschwerte sich Iegi zum wiederholten Male – und einmal mehr gab der verbissen dreinblickende Anführer der Wache darauf keine Antwort, wobei Tarean nicht zu sagen vermochte, ob er schlicht ein sturer Hund war oder vielleicht die im Norden so gängige Gemeinsprache gar nicht beherrschte.
»Lass gut sein, Iegi«, sagte Tarean leise. »Im Augenblick bleibt uns nur, nach ihren Regeln zu spielen. Es wird schon nichts passieren.«
»Das sagst du«, erwiderte der Vogelmensch missmutig.
»He, wir haben zwei Dächer beschädigt und eine Handvoll Marktstände umgerissen. Darauf wird kaum die Todesstrafe stehen.« Der Junge warf Auril einen um Beistand heischenden Blick zu.
»Kaum«, bestätigte die Albin leise. »Aber ich weiß nicht, was geschehen wird. Es hängt davon ab, wer hier im Augenblick das Sagen hat. Wir sollten in jedem Fall vorsichtig sein, was wir über uns und unsere Reise preisgeben, denn wer immer über unser Schicksal zu befinden hat, wird ganz sicher versuchen, daraus einen Vorteil zu schlagen.«
»Immerhin haben sie uns unsere Waffen gelassen«, sagte Tarean. »Das ist doch ein gutes Zeichen.«
Auril deutete ein Nicken an. »Das stimmt, denn es lässt vermuten, dass sie uns für irgendwelche Schmuggler halten und unsere wahren Fähigkeiten nicht erahnen. Ansonsten wären sie vorsichtiger. Also gebt ihnen keinen Anlass, an ihrem Urteil zu zweifeln.«
»Das habe ich nicht vor.« Der Junge blickte sich um und beugte sich dann zu der Albin hinüber. »Wenigstens haben sie Moosbeere nicht erwischt«, flüsterte er.
»Wie auch immer
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