Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
Krachen die schwere Zellentür aus den Angeln gerissen.
»… genau jetzt.«
»Wir hatten einen Schlüssel«, tadelte eine samtige Stimme mit leichtem nondurischem Akzent vom Gang her leise.
»Unnütz«, grollte es zur Antwort dunkel und reibend, so als habe der Sprecher zwei Mühlsteine verschluckt. Dann steckte völlig unerwartet ein Steinerner den massigen, haarlosen Schädel zur Tür herein. In seinen hellblau leuchtenden Augen glomm ein Eifer, der für einen Angehörigen seiner Art reichlich ungewöhnlich anmutete. »Leben?«, fragte er in die Runde.
»Was?!«, entfuhr es Iegi entgeistert.
Der graue Hüne winkte ihnen einladend zu. »Kommt.«
»Ich glaube, er meinte: Wenn ihr leben wollt …«, flötete Moosbeere hilfsbereit, aber sie wurde von Auril unterbrochen, die auf den geborstenen Türrahmen zueilte. »Wir haben es schon verstanden.«
Gemeinsam mit den anderen drängte Tarean auf den Ausgang zu. Im unsteten Licht einer einzelnen Fackel, die den Gang vor ihrer Kammer erhellte, erkannte er einen kräftigen Nondurier, der vollständig in dunkles Grau gekleidet war, das ihn bei Nacht vor dem Mauerwerk beinahe unsichtbar machte. Er trug schmucklose Unterarmschienen, und an seinem Gürtel hingen ein Kurzschwert mit mattschwarzer Klinge und ein hölzerner Schlagstock mit lederumwickeltem Griff.
»Seid Ihr es, Fenrir?«, wollte der Junge wissen. Für ihn sah einer der Hundeköpfigen aus wie der andere, und er hoffte inständig, dass sie hier nicht in irgendeine perfide Falle tappten.
»Ja«, bestätigte dieser. »Bruder Lanfert hat den Schleier des Büßers abgelegt, als er hörte, dass der Hexer und sein Dämon besiegt waren.«
Tarean nickte und schenkte dem Nondurier ein kurzes Lächeln. Es war weniger die Botschaft selbst, die ihn erfreute – obwohl auch das der Fall war –, als vielmehr die Gewissheit, dass es wirklich der nondurische Gefährte des albischen Rebellen Endhréan Falkenauge war, den sie vor sich hatten.
»Folgt mir«, gebot der Schmied, der eher wie ein Krieger aussah, leise und führte den Jungen und die anderen zum Ausgang des Kerkers. Der Steinerne stapfte mit zufriedener Miene hinterdrein.
»Wer ist Euer Freund?«, fragte Tarean und deutete auf den grauen Hünen.
»Das ist Tâch’thurt. Ihr könnt ihm vertrauen.«
»Und wo ist General Jaular?«
»Er hält sich fern, um seinen Ruf nicht zu gefährden. Aber er hat dafür gesorgt, dass diese Schlafmützen hier heute Nacht Wache zwischen dem Kerker und der Außenmauer haben.« Der Nondurier verzog die Lefzen zu einem Grinsen und tätschelte einem Wärter den Hinterkopf, der neben der Eingangstür zum Kerker auf dem Steinboden saß, den Rücken an die Wand gelehnt und das Kinn auf der Brust. Flüchtig betrachtet schien er zu schlafen, aber Tarean nahm an, dass er in Wahrheit bewusstlos war.
»Wo sind unsere Waffen?«, mischte sich Iegi flüsternd ein.
Fenrir deutete auf den Wachraum. »Sie liegen dort drinnen.«
Tatsächlich fanden sie ihre gesamte Ausrüstung in einer Holzkiste in dem Raum wieder, der im Übrigen, wie Tarean feststellte, mittlerweile von den Spuren seiner »Befragung« gesäubert worden war. Rasch gürteten sie ihre Schwerter um, und Iegi griff nach seinem Kampfstab, der neben der Kiste an der Wand lehnte. Als Tarean Esdurial an sich nahm, sandte er ein Dankgebet an die Dreigötter, Kristalldrachen und alle anderen höheren Mächte. Denn viel zu spät war ihm aufgegangen, dass ihm durch die Enthüllung seines wahren Namens während der Audienz beim Padeschdah am Nachmittag ein gefährlicher Fehler unterlaufen war – einmal ungeachtet der Tatsache, dass ihnen ohnehin niemand Glauben geschenkt hatte. Allzu leicht hätte es passieren können, dass ein vielleicht zweifelnder, aber doch neugieriger Soldat sich das magische Schwert des jungen Helden genauer angesehen und dabei seinen Wert erkannt hätte. Tarean schwindelte bei dem Gedanken, dass er vor einer möglichen Flucht erst einmal die ganze Feste nach der gestohlenen Klinge seines Vaters hätte absuchen müssen.
Unter Fenrirs Führung traten sie die Flucht an. Dabei blieb der Nondurier stets ein paar Schritte vor ihnen, um zu überprüfen, ob die Luft rein war. Zwei Wachposten kreuzten ihren Weg. Doch der General hatte wirklich eine gute Wahl getroffen. Die gerüsteten Wächter achteten mit keinem Blick auf ihre Umgebung, während sie lustlos auf dem Wehrgang entlangschlurften.
Der Nondurier führte sie einige Schritt den schmalen Gang zwischen den
Weitere Kostenlose Bücher