Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
Vaters Schoß fliehen? Das hieße, Tarean im Stich zu lassen. Oder soll ich weiter dem eingeschlagenen Weg folgen, auf die Gefahr hin, uns alle in den Untergang zu führen? Auril seufzte innerlich. Die Albträume waren unangenehm, keine Frage. Die Bürde des Wissens und zugleich Nichtwissens war hingegen noch schlimmer. Grausamerweise hatte das Wasser des Sehens ihre eigentliche Frage, ob Tarean und ihr ein gemeinsames Schicksal beschieden war, nicht beantwortet.
Die Albin spürte, dass Bromm sie schweigend musterte, und blickte auf.
»Kann ich noch irgendetwas für dich tun?«, fragte der Werbär.
Auril zwang sich zu einem Lächeln. »Danke. Ich fühle mich schon besser.«
Der Werbär stieß sich von der Wand ab. »Na schön, dann gehe ich jetzt zurück auf mein Zimmer. Sieh zu, dass du noch ein wenig Schlaf bekommst.« Er tätschelte im Vorbeigehen die Schulter der Albin.
»Das mache ich«, versprach Auril. Und dann eine Wand aus Drachenfeuer … Sie versuchte, den Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen. Aber als der Werbär die Tür öffnete, brach es doch aus ihr heraus: »Bromm?«
Er wandte sich noch einmal um. »Ja?«
»Du hasst die Wolflinge, nicht wahr?« Sie sah ihn nicht an, konnte es nicht, ohne dass ihre Augen ihr aufgewühltes Inneres verraten hätten.
»Mehr denn je, das weißt du«, grollte der Werbär.
Auril schluckte. »Gut. Vergiss das bitte nicht.«
»Ich traue ihr nicht«, raunte Iegi Tarean zu. »Die verbirgt doch irgendetwas vor uns.«
»Genau genommen traue ich ihr auch nicht«, erwiderte Tarean leise. »Und dass es Dinge gibt, die sie uns verheimlicht, würde mich ebenfalls nicht wundern. Wir sind unsichere Verbündete – im besten Falle.«
Es war der Abend nach ihrem Zusammentreffen mit Haffta, und die beiden Jungen saßen, in ihre Decken gehüllt, gemeinsam am Lagerfeuer am Ufer des Flusses, auf den sie am Vormittag – zusammen mit der Wolflingfrau – gestoßen und dessen Verlauf sie den Rest des Tages in südwestlicher Richtung gefolgt waren. Ihre beiden Ponys standen unweit des Lagerplatzes an einen Baum gebunden und grasten. Moosbeere hatte verkündet, dass sie die Umgebung erkunden wolle. Und Haffta war vor ungefähr einer Stunde aufgebrochen, um etwas Essbares zu jagen. Denn die Grawlsippe hatte kaum Vorräte bei sich gehabt, sondern von dem gelebt, was die Natur Undurs ihnen aufgetischt hatte. Da die Wolflingfrau keine Gefangene war, hatte Tarean sie ziehen lassen, wenn auch mit einem leicht unguten Gefühl in der Magengegend, das Iegi offenbar ebenfalls verspürte.
»Wieso haben wir sie überhaupt mitgenommen?«, wollte der Vogelmensch wissen.
»Was hätte ich denn tun sollen?«, fragte Tarean leicht verärgert zurück. »Du hast gehört, was sie antreibt. Vermutlich wäre sie uns so oder so gefolgt, selbst wenn ich ihr verboten hätte, uns zu begleiten. Und bevor ich mich in einem fort umblicke, weil hinter mir Äste knacken und eine Gestalt durchs Unterholz huscht, habe ich sie lieber um mich herum, wo ich sie im Auge behalten kann. Die einzige andere Möglichkeit hätte darin bestanden, sie umzubringen.«
»Vielleicht wäre das der bessere Weg gewesen«, murmelte Iegi. »Sechzehn Jahre waren sie die Diener von Calvas, und diese Haffta kann mir nicht erzählen, dass der Hexenmeister sie alle dazu gezwungen hat, die westlichen Reiche zu unterwerfen und auszubeuten. Und auf einmal will ein Wolfling den Hexer tot sehen? Irgendetwas in mir tut sich schwer damit, das zu glauben.«
Tarean schüttelte verwirrt den Kopf. »Woher rührt eigentlich dein plötzlicher Zorn gegen die Grawls? Ihr Taijirin habt doch niemals unter ihnen gelitten. Die Wolkenberge waren von Calvas’ Krieg nicht betroffen. Verbessere mich, wenn ich falschliege, aber so wie ich das sehe, dürfte Haffta überhaupt erst deine vierte Begegnung mit den Wölfen sein – nach dem Kampf auf dem Wallhorn, der Schlacht um At Arthanoc und diesem Geplänkel um den settischen Marktflecken gestern Abend.« Ein Teil des Jungen konnte es nicht fassen, dass er einen Wolfling gegen seinen Freund verteidigte.
Iegi warf ihm einen vielsagenden Blick zu. »Vielleicht ist es genau das: Ich habe erst dreimal Wolfskrieger getroffen – und dreimal war ich gezwungen, gegen sie um mein Leben zu kämpfen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie etwas anderes sind als wilde, blutrünstige Kämpfer. Haffta mag behaupten, dass es auch eine andere Seite gibt, aber ich bin sicher, auch sie hat vor den Toren von At Arthanoc Menschen
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