Tarzan 04 - Tarzans Sohn
gehabt, denn sein Angriff war nicht mehr so schnell und seine Sprungkraft nicht mehr so groß wie in den Tagen seiner Blüte, als er unter den Geschöpfen seines wilden Herrschaftsbereichs Angst und Schrecken verbreitete. Seit zwei Tagen und Nächten hatte er nichts im Magen, und die Zeit davor hatte er sich nur von Aas ernährt. Er war alt, aber er war noch immer ein schreckliches Werkzeug der Vernichtung.
Am Waldsaum zog der ehrenwerte Morison die Zügel an. Er hatte kein Verlangen, weiterzureiten. Numa kroch lautlos auf weichen Sohlen hinter ihnen in den Dschungel. Der Wind wehte jetzt sanft zwischen ihm und der ins Auge gefaßten Beute. Er hatte auf der Suche nach Menschen einen langen Weg zurückgelegt, denn schon in der Jugend hatte er Menschenfleisch gekostet, und wenn es auch im Vergleich zu dem der Elenantilope oder des Zebra erbärmliches Zeug war, kam man doch bequemer dazu. Nach Numas Einschätzung war der Mensch ein langsam denkendes, sich langsam bewegendes Wesen, welches keine Achtung weckte, es sei denn, ihm haftete der scharfe Geruch an, den die empfindsamen Geruchsnerven des Königs der Tiere mit dem gewaltigen Knall und blendenden Feuerstrahl eines Schnellfeuergewehres in Verbindung brachten.
Auch in dieser Nacht erfaßte er diese gefährliche Witterung, doch er war halb wahnsinnig vor Hunger. Wenn es nottat, würde er sich einem Dutzend Gewehren entgegenstellen, um seinen leeren Bauch zu füllen. Er strich in einem weiten Bogen in den Wald, so daß der Wind ihm wieder die Witterung seiner Opfer zutrug, denn sollten sie seine Witterung aufnehmen, konnte er nicht darauf rechnen, sie zu überholen. Numa war ausgehungert, aber er war alt und erfahren.
Tief im Dschungel erfaßte jemand anders sowohl die Witterung des Menschen als auch die des Löwen. Er hob den Kopf und zog die Luft ein. Dann neigte er ihn zur Seite und lauschte.
»Kommen Sie«, sagte Meriem. »Wir suchen uns einem Weg, wo wir hineinreiten können – der nächtliche Wald ist wundervoll. Er ist auch nicht so dicht, daß wir nicht durchkämen.«
Der ehrenwerte Morison zögerte. Er scheute sich, sich seine Furcht anmerken zu lassen. Ein mutigerer Mann, der sich seiner sicher ist, hätte sich rundweg geweigert, das Mädchen ohne Grund einer Gefahr auszusetzen. Er hätte überhaupt nicht an sich gedacht. Doch der Egoismus des ehrenwerten Morison erforderte, daß er zunächst einmal die eigenen Interessen im Blick behielt. Er hatte den Ritt geplant, um Meriem von dem Bungalow wegzulocken. Er wollte allein mit ihr reden und weit genug vom Haus entfernt, so daß er, gesetzt den Fall, er würde sie mit seinem Vorschlag kränken, genügend Zeit hätte, um zu versuchen, sein Bild in ihren Augen wieder zurechtzurücken, ehe sie zu Hause anlangten. Natürlich hegte er kaum Zweifel, daß ihm Erfolg beschieden sein würde. Zu seiner Ehre sei gesagt, daß er immerhin gewisse Zweifel hatte.
Meriem bemerkte sein leichtes Zögern. »Sie brauchen sich vor dem Löwen nicht zu fürchten«, sagte sie. »Seit zwei Jahren hat sich hier in der Gegend kein menschenfressender blicken lassen, sagt Bwana. Außerdem gibt es hier so reichlich Wild, daß Numa nicht gezwungen ist, sich Menschenfleisch zu holen. Darüber hinaus ist er so oft gejagt worden, daß er dem Menschen lieber aus dem Weg geht.«
»Oh, ich habe keine Angst vor Löwen«, erwiderte der ehrenwerte Morison. »Ich mußte nur gerade daran denken, daß Wald ein denkbar ungeeignetes Gelände fürs Reiten ist, mit dem vielen Unterholz, den herabhängenden Zweigen und so weiter. Er ist nicht für Reitvergnügungen gerodet worden.«
»Dann wollen wir zu Fuß gehen«, schlug Meriem vor und machte Anstalten abzusitzen.
»O nein«, rief der ehrenwerte Morison ganz entgeistert bei diesem Vorschlag. »Wir wollen lieber reiten.« Damit lenkte er sein Pferd in den dunklen Schatten des Waldes. Hinter ihm kam Meriem, und vor ihnen pirschte sich Numa, der Löwe, vorwärts und wartete auf eine günstige Gelegenheit.
Draußen in der Ebene murmelte ein einsamer Reiter einen unterdrückten Fluch vor sich hin, als er die zwei seinen Blicken entschwinden sah. Das war Hanson. Er war ihnen vom Bungalow aus gefolgt. Ihr Weg führte in die Richtung seines Lagers, so hatte er eine einleuchtende Entschuldigung, sollten sie ihn entdecken. Aber sie hatten ihn nicht gesehen, weil sie sich nicht umgeblickt hatten.
Nun ritt er direkt auf die Stelle zu, wo sie im Dschungel verschwunden waren. Ihn kümmerte nicht länger,
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