Tate Archer – Im Visier des Feindes: Band 1 (German Edition)
deinen Vater.« Sie tätschelt meinen Arm, nimmt mir das Telefon meines Vaters aus der Hand, dreht sich dann um und marschiert los, in den Wald hinein.
Ich folge ihr, halte Christina fest, achte auf den Weg und tue mein Bestes, um sie nicht zu schütteln. Sie fühlt sich so leicht in meinen Armen an, als wäre irgendein Teil von ihr weggeflogen, so als würde ich bloß ihre leere Hülle tragen. Also murmele ich ihr beim Laufen leise etwas vor, versuche, sie zu mir zurückzulocken.
»Im Frühjahr meines ersten Highschool-Jahres hat Will mich überredet, mir die Mädchenmannschaft beim Fußballspielen anzusehen. Ich wollte nicht hingehen. Ich wusste, dass ich Stunden brauchen würde, um wieder aufzuholen, was ich in meinem Sprachunterricht versäumen würde. Aber du kennst ja Will. Er kann ziemlich überzeugend sein.«
Ich hebe Christina ein bisschen höher. Ihre Haare kitzeln mich im Nacken. »Ich bin dann hingegangen, weil er behauptet hat, die Stürmerin wäre echt scharf, aber als ich wieder nach Hause gegangen bin, war ich total in die Spielerin links außen verschossen.«
Da war etwas in dem verspielten und doch herausfordernden Blitzen in ihren Augen, ihre freche, ungerührte Hartnäckigkeit, dieses laute, lebendige Lachen, diese unglaublichen Beine, dieses hinreißende Lächeln … Jede Sekunde, die verging, grub mein Loch ein wenig tiefer.
Ich lehne meine Wange an ihre Stirn. »Weißt du noch, wie du zur Tribüne hochgeguckt hast? Ich glaube, ich habe eine ganze Minute lang die Luft angehalten und gewartet, dass dein Blick endlich auf mir landen würde.«
Ich nutze ein Stück ebenes Gelände, bei dem ich nicht so auf den Weg achten muss, um Christina ins Gesicht zu sehen.
»Und du hast mich angeschaut – ungefähr eine Nanosekunde lang. Dann hast du den Kerl entdeckt, nach dem du eigentlich Ausschau gehalten hattest, und hast ihm zugewunken. Schon damals habe ich mir geschworen, dass ich eines Tages dieser Kerl sein würde. Ich wollte der Kerl sein, nach dem du auf der Tribüne Ausschau hältst.«
O Gott, klingt das dämlich. Trotzdem ist es absolut wahr. Es hat ein paar Jahre gedauert. Und es lief nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte. Denn … es lief besser. Weil ich Christinas Freund wurde und nicht nur der Freund des Monats. Bis wir dann vor ein paar Monaten anfingen, miteinander auszugehen, kannte ich sie schon gut genug, um zu wissen, dass diese Beziehung etwas war, mit dem man behutsam umgehen musste, das man nicht überstürzen durfte. Etwas, das man festhalten und worauf man aufpassen musste.
»Ich weiß gar nicht, wieso ich so viel Glück hatte«, murmele ich.
Christina bewegt sich seufzend in meinen Armen und das lässt mich beinahe auf die Knie sinken.
Meine Mom entdeckt einen Feldweg, dem wir folgen, während ich meiner blutenden, bewusstlosen Freundin von all den Augenblicken vorplappere, die in der Summe zu der Liebe geführt haben, die ich inzwischen für sie empfinde. Und mir wird etwas klar, als wir da entlanglaufen und ich sie gegen meine Brust drücke. Aber ich habe nicht die Kraft, es laut zu sagen, weil es genau jetzt viel zu wehtut.
Wir überqueren einen Steg, der über einen rauschenden Bach führt. Es hat angefangen zu regnen, doch durch das dichte Dach der Baumkronen dringen nur wenige Tropfen.
»Tate«, ruft meine Mom mir zu.
Als ich den Kopf hebe, sehe ich drei Leute neben einem neu aussehenden Kleinlaster mit bedeckter Ladefläche stehen, der am Rand der schmalen Straße geparkt ist. Eine korpulente, mittelalte Frau mit rotbraunem Haar entdeckt uns und stupst den hageren, älteren Kerl neben sich an. Dieser dreht sich um und blinzelt uns durch dicke Brillengläser an. Der dritte Typ, jung, vielleicht Anfang zwanzig, stürmt vor, als er uns sieht. Er hat feuerrote Haare und ist extrem blass. Ich meine, so merkwürdig blass. Als er näher kommt, sehe ich, dass sein Nasenrücken und seine Wangen mit winzigen Sommersprossen bedeckt sind. Trotzdem sieht er wie eine Art Albino aus.
»Wir fingen schon an, uns zu fragen, ob die Behörden euch geschnappt haben«, sagt Sommersprosse. Er stützt die Hand in seine Taille, vielleicht, um die schlaffe Jeans auf seinen knochigen Hüften zu halten. Er hat einen weiten, langärmligen Kapuzenpullover an, der bei diesem schwülen Wetter eigentlich viel zu warm ist.
Als er sich meiner Mutter nähert, streckt er die Hand aus. »Ich bin David Bishop.«
»Mitra Shirazi-Archer«, erwidert meine Mutter, indem sie ihm die Hand
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