Tate Archer – Im Visier des Feindes: Band 1 (German Edition)
wünschte, dein Vater hätte dir das alles schon früher erklärt.«
»Ich auch.« Ich weiß so wenig über meinen Dad und diese Welt, deren Teil ich bin, dass es mich ganz verrückt macht. Aber …
»Es ist ja nicht so, als wenn er gewusst hätte, dass das hier passieren würde.« Wie hätte er vorhersehen können, was für ein Arschloch ich mal werden würde?
Mom seufzt. »Dein Vater glaubte, es wären noch etwa drei Milliarden Menschen übrig.«
»Nein, er hat gesagt, es wären weniger. Und dass die Zahl schnell kleiner wird.« Ich muss an den Bildschirm in Dads Labor denken, auf dem die eine Zahl nach oben schnellte, wohingegen die zweite zügig sank.
Meine Mutter schenkt mir ihr traurigstes Lächeln. »Die meisten dieser Menschen wissen gar nicht, dass sie Mitglieder einer gefährdeten Spezies sind, genauso wie die meisten H2 nicht wissen, dass sie Aliens sind. Und vielleicht wäre es manchen auch egal, wenn der Kern all die Jahre im Verborgenen nicht so gnadenlos gewesen wäre. Und die Fünfzig sind sich ihrer Menschlichkeit sehr bewusst und schützen sie sorgfältig. Wie du weißt, sind die Archers Mitglieder. Meine Familie, die Shirazis, ebenfalls – die einzigen Mitglieder in Südwestasien. Es gibt mindestens fünf Familien in China, drei in Indien und ein paar sind über Europa, Afrika und Südamerika verstreut. In Australien gibt es keine Mitglieder der Fünfzig. Hier in den Staaten sind mehrere Familien ansässig; am mächtigsten sind die Alexanders, die Fishers, die McClarens und die Bishops.«
Einige der Namen erkenne ich wieder: George heißt mit Nachnamen Fisher, und der Fahrer, der gestern gestorben ist, hieß Peter McClaren.
»Was ist mit den Archers?«, frage ich.
Die Eltern meines Dads sind gestorben, als er klein war, und er war Einzelkind. »Habe ich noch Verwandte, von denen ich nichts weiß?«
Ihre bernsteinfarbenen Augen begegnen im Rückspiegel meinen. »Nein. Du bist der letzte Archer.«
Es dauert eine oder zwei Minuten, bis ich wieder daran denke zu atmen. Braytons Worte hallen in meinem Kopf wider: Der Stammbaum deiner Familie erstreckt sich über Jahrhunderte. Setz das nicht aufs Spiel, Tate.
»Warte mal, Brayton sagte, er wäre mit mir verwandt«, stammele ich schließlich. Nicht, dass ich ihn gerne zu meiner Familie zählen würde. Ganz im Gegenteil.
Sie nickt. »Die meisten unserer Familien hängen irgendwie zusammen, aber Brayton ist ein Alexander, kein Archer. Wie du dir vorstellen kannst, haben in vierhundert Jahren viele der Linien einfach … geendet. Aber die, die geblieben sind, haben ihre Reinheit bewahrt. Es wurden Ehen arrangiert. Das ist auch einer der Gründe, weshalb die Familien Kontakt miteinander halten.«
»Was?«
Sie lässt ihren Blick auf der Straße. »In deinen Ohren klingt das vermutlich primitiv, aber du musst begreifen, dass wir im Grunde eine vom Aussterben bedrohte Art sind und nur durch sorgfältig geplante Fortpflanzung überlebt haben.«
»Geplante Fortpflanzung?« O mein Gott. »Soll das heißen, du und Dad …«
»Wir hatten Glück«, gibt sie schnell zurück, und in ihrem Lächeln sind eintausend Erinnerungen enthalten. »Als ich zum Studieren hergekommen bin, war ich bei den Archers zu Gast und habe Fred kennengelernt, als er in den Weihnachtsferien nach Hause kam. Die Anziehung war augenblicklich da.«
In mir löst sich etwas. Aus irgendeinem Grund musste ich hören, dass meine Eltern einander wirklich geliebt haben, dass ich nicht das Produkt einer kalten und analytischen Fortpflanzung bin. »Die Fünfzig haben also eine Art … was? Regierung oder so was?«
Meine Mom schüttelt den Kopf. »Überhaupt nicht. Die Fünfzig wurden vor etwa hundertfünfzig Jahren formell gegründet. Aber schon Jahrhunderte vorher waren in vielen dieser Familien arrangierte Heiraten – mühsam geschmiedete Bindungen – üblich. Weil der Kern überall auf der Welt so tief in Regierungen verstrickt ist, haben die menschlichen Familien sich möglichst viel Macht in der Privatindustrie erobert. Black Box gibt es unter diesem oder anderen Namen schon lange. Man könnte es eine Front nennen, einen Weg, Kapital und Ressourcen anzuhäufen, damit wir uns gegen den Kern verteidigen können. Denn der hat über die Jahrhunderte hinweg eine große Anzahl von uns mit offiziellen oder inoffiziellen Methoden angegriffen.«
»Zum Beispiel durch Mord?«
»Es sieht immer aus wie ein Unfall«, sagt meine Mutter grimmig. »Aber sie haben auch jeden, der drohte, ihre
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