Tatort Oslo - Unehrlich waehrt am laengsten
ist da?«, fragte Ohlsen und kniff die Augen zusammen.
»Sieht aus wie ein schwarzer Fleck. Mach mal größer.«
Erst als Ohlsen die Vergrößerung auf 400 Prozent stellte, hatte auch er erkannt, dass auf dem schmalen Streifen, der sich zwischen den dunklen Haaren und der grauen Jacke des Mannes abzeichnete, etwas Längliches, Schwarzes zu sehen war.
»Was soll das sein?«, fragte er.
»Sieht aus wie ein Tattoo«, vermutete Alexander.
»Ein Tattoo?«
»Glaub schon. Solche Nackentattoos sind bei Motorradgangs und Neonazis ziemlich beliebt.«
»Woher weißt du das?«, fragte Ohlsen erstaunt.
»Weil David Beckham auch mal so eins hatte. Da hab ich ein bisschen was darüber gelesen.«
Ohlsen war wie vom Donner gerührt. »Wenn das stimmt, Alex«, sagte er bedächtig und sah seinen Sohn durchdringend an, »dann haben wir jetzt eine ganze heiße Spur.«
»Sag Bescheid, wenn du wieder mal Hilfe brauchst«, hatte Alexander mit provozierender Lässigkeit erwidert und war aus dem Zimmer geschlendert.
An dieses Gespräch musste Ohlsen jetzt denken, während er mit raumgreifenden Schritten und fliegenden Stöcken eine kleine Steigung in Angriff nahm. Vielleicht würde sein 13-jähriger Sohn – nachdem er bereits die Täter fotografiert und den entscheidenden Hinweis gegeben hatte – ja so gütig sein, seinem Vater zumindest die weiteren Ermittlungen zu überlassen. Sonst konnten sie Alex im Präsidium bald einen eigenen Schreibtisch zur Verfügung stellen. Oder er räumte gleich seinen eigenen, um dem fälligen Generationenwechsel nicht länger im Weg zu stehen.
Erfüllt von winzigen Selbstzweifeln und mächtigem väterlichen Stolz bezwang Ohlsen den kleinen Hügel, legte die Stöcke an und sauste ihn auf der anderen Seite wieder hinunter. Als er sich schnittig in die Kurve legte, sah er zur Linken zwischen den Bäumen einen leuchtend roten Fleck aufscheinen. Er hielt an und bewegte sich circa zwanzig Meter in den Wald hinein.
Was er sah, ließ ihn stutzen. Es war der abgetrennte Vorderlauf eines ausgewachsenen Elchs. Vielleicht war der Elch krank gewesen und hatte sich gegen seinen Angreifer nicht zur Wehr setzen können. Doch ausgesprochen seltsam war es schon, dass er so nahe der Stadt einem Braunbär oder Wolf zum Opfer gefallen sein sollte.
Der Anblick schnitt Ohlsen ins Herz. Auf das Farbenspiel von rotem Blut auf weißem Schnee, das er heute schon zum zweiten Mal zu sehen bekam, legte er definitiv keinen Wert. Und ausgerechnet er, dem jeder Aberglaube eigentlich fremd war, wurde von einer düsteren Vorahnung gepackt, dass dies womöglich nicht das letzte blutige Ereignis dieses Winters sein würde.
Kapitel 23
Auf dem Dezernat herrschte eifrige Betriebsamkeit, als Liv Eriksen ihre Mitarbeiter in den Konferenzraum beorderte. Magnus Gustavsen war mal wieder der Erste, der Platz nahm. Er hatte sich ein großes Glas Leitungswasser mitgebracht, in dem er sogleich ein blassgelbes Pulver auflöste, das dieselbe Farbe hatte wie sein Oberhemd. Er öffnete seinen Notizblock, schrieb in die obere rechte Ecke das Datum des heutigen Tages und legte sich zwei Ersatzstifte zurecht. Dann überprüfte er die Zeitanzeige seines Smartphones und warf vergleichende Blicke auf seine Armbanduhr sowie die große Wanduhr an der Stirnseite des Raumes. Er nickte zufrieden. Exakt 9.55 Uhr. Seit Magnus zu Livs Team gehörte, gab es auf dem gesamten Stockwerk weder vor- noch nachgehende Uhren.
Als Nächstes spazierte Nina Holmberg mit einem großen Caffè Latte von Starbucks und einem angebissenen Blaubeermuffin zur Tür herein. »Hallo, Magnus«, nuschelte sie mit vollem Mund und zog eine Krümelspur hinter sich her. »Hab noch gar nicht gefrühstückt. Willst du auch mal probieren?« Sie hielt ihm die unversehrte Seite ihres Muffins entgegen.
»Gott bewahre!« Magnus hob abwehrend beide Hände, als fühlte er sich bedroht. Dann strich er sich wie zur Erklärung über seinen Bauch, der so flach war wie eh und je. »Ich bin gerade auf Diät.«
»Was trinkst du denn da?«
»Einen Energiedrink auf Sojabasis. Schmeckt wie eingeschlafene Füße, aber was tut man nicht alles«, fügte er seufzend hinzu. Er setzte das Glas an die Lippen und nahm tapfer einen tiefen Schluck.
Sie schaute ihn mitleidig an.
»Morgen zusammen!«, rief Liv Eriksen, noch ehe sie über die Schwelle trat. Kjell Nygaard trippelte wie ein Hündchen hinter ihr her und redete auf sie sein, doch sie schien ihm nicht zuzuhören. Ohlsen kam als Letzter herein und
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