Tatort Oslo - Unehrlich waehrt am laengsten
seine eigenen Hotdogs zusammenstellen konnte.
Als sie später den Tisch abräumten, kam Lukas mit einer Zeitung herein. »Die lag bei uns unterm Bett. Können wir gleich ins Feuer werfen oder will die noch jemand lesen?«
»Gib mal her.« Claudia nahm ihm die Ausgabe des Dagbladet ab und schaute verblüfft auf das Datum. »Sag mal, Leif, hattest du nicht gesagt, du wärst schon ewig nicht mehr hier gewesen?«
»Ich, äh, ja …«, stotterte er. »Warum?«
»Weil die Zeitung von Anfang Dezember ist.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Wie kommt die denn hierher?«
Leif fuhr sich nachdenklich durch seine schütteren Haare. »Tja, wie kommt die hierher?«, wiederholte er so leise, als spräche er zu sich selbst.
In diesem Moment wusste Franziska, was sie schon immer an Leifs Gesicht irritiert hatte: Seine eisblauen Augen hatten außergewöhnlich kleine Pupillen. Wie frostige Stecknadelköpfe. Auch wenn man ihm direkt in die Augen sah, drang man nicht richtig zu ihm durch. Außerdem kam ihr sein Gesicht plötzlich merkwürdig leer vor, als wäre der Abstand zwischen den einzelnen Bestandteilen größer als bei anderen Menschen. Vielleicht lag das auch an der fehlenden Sonnenbrille oder an seinem Gesichtsausdruck, der mit einem Mal etwas Verlorenes hatte. Fast tat er ihr leid. Zugleich fragte sie sich, was für eine Begründung Leif ihnen auftischen würde.
»Ach, jetzt weiß ich es wieder.« Er warf mit einer linkischen Bewegung die Hände in die Luft. »Ich hatte einem alten Kumpel gesagt, dass er jederzeit meine Hütte benutzen kann.«
»Einem alten Kumpel?«
»Ja, meinem guten alten Freund Ole. Wir konnte ich das nur vergessen?«
»Dann haben wir ja Glück, dass Ole nicht ausgerechnet an diesem Wochenende hier ist«, entgegnete Claudia. »Andererseits warte ich ja schon lange darauf, mal einen deiner Freunde kennenzulernen«, fügte sie hoffnungsvoll hinzu.
»Das wirst du bald, versprochen!«, entgegnete Leif, dem offenbar daran gelegen war, die Diskussion zu beenden, ehe sie richtig begonnen hatte. Dann marschierte er in die Küche, schnappte sich den größten Kochtopf, der unter der Spüle stand, und eilte mit ihm hinaus in die Kälte.
Die anderen schauten sich fragend an. Als Leif fünf Minuten später zurückkehrte, stellte er den Topf, der bis zum Rand mit Schnee gefüllt war, auf den Ofen. »Falls sich noch jemand waschen will«, erklärte er mit belegter Stimme. Dann verschwand er im Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich.
Kapitel 27
Am nächsten Morgen war Leif früh auf den Beinen. Er öffnete die quietschende Ofenklappe und vergewisserte sich, dass vom Feuer des gestrigen Tages noch genug orangefarbene Glut übrig war, um es im Handumdrehen erneut zu entfachen. Dann nahm er die Zeitung, die Lukas unter dem Bett gefunden hatte, fütterte das offene Maul des Ofens und warf die Klappe wieder zu. Sekunden später ging das Corpus Delicti in Flammen auf.
Aus den Augen, aus dem Sinn, dachte er. Seinetwegen war das Thema damit ein für alle Mal erledigt.
Es sollte ein frostklarer, strahlender Tag werden. Leif trug ein kariertes Holzfällerhemd und gab sich alle Mühe, einen kernigen norwegischen Naturburschen abzugeben. Lukas ging bei ihm in die Naturburschenlehre, die nach dem ausgiebigen Frühstück mit Holzhacken auf der Veranda begann. Während Mutter und Tochter den Abwasch erledigten, hörten sie von draußen Leifs Anweisungen, das dumpfe Geräusch der Axt, die in das Holz fuhr, das wiederholte Schlagen der Holzstücke auf den Hackklotz, bis diese krachend auseinanderbrachen und polternd zu Boden fielen. Zwischendurch feuerten sie sich an und gaben sich High five, wenn es einem von ihnen gelang, ein Holzstück mit einem einzigen Hieb zu spalten.
Danach schleppten sie stolz wie die Oskars die Früchte ihrer Arbeit zur Tür herein, füllten den Weidenkorb mit frisch gespaltenem Brennholz, stapelten die übrigen Scheite an der Wand und ließen sich von Claudia mit zwei großen Gläsern Cola belohnen.
Der Meister warf seinem Lehrling einen verheißungsvollen Blick zu. »Und jetzt, Lukas, gehen wir auf Bärenjagd!«
Claudia hatte gar nicht mitbekommen, dass Leif kurz im Schuppen verschwunden und mit einem Gewehr in der Hand wieder aufgetaucht war. Jetzt legte er an und ließ die Mündung in einem weiten Bogen durch den Raum schweifen. Vor Schreck fiel Claudia fast die Kaffeetasse aus der Hand.
»Keine Angst, ist nur ein Luftgewehr«, beruhigte er sie. Und ehe Claudia protestieren oder
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