Tatsache Evolution
zusammenfassend dargestellt ist (Bunge und Mahner 2004, Mohr 2008, Kutschera 2008 a).
Aus Fakten (Dokumente, experimentelle Befunde) werden Hypothesen und Theorien abgeleitet, die reale Sachverhalte erklären sollen. Der Unterschied zwischen dem Dokument/ Experiment, den daraus gewonnenen objektiven Daten und einer die Zusammenhänge erklärenden Theorie ist dem |287| Politologen offensichtlich unbekannt geblieben. Weiterhin scheint ihm nicht klar zu sein, dass es in den Naturwissenschaften keine feststehenden Glaubenssätze (Dogmen) gibt und die Evolutionsbiologie, die zahlreiche Theorien umfasst, ein offenes, sich stetig weiterentwickelndes System von Aussagen darstellt.
Abb. 10.1: Elektronenmikroskopische Aufnahme der Unterseite des Keimblattes einer gesunden, jungen Sonnenblumen-Pflanze. Mit dieser Methode wurden bisher unentdeckt gebliebene Bakterien (Gattung
Methylobacterium
) sichtbar gemacht, die sich durch Zweiteilung vermehren (Pfeile). Die Mikroben sitzen bevorzugt in den Zell-Zwischenräumen der Blatt-Epidermis, wo sie sich von gasförmigen Stoffwechsel-Abfallprodukten (z. B. Methanol) ernähren. C = Cotyledonen (Keimblätter), E = Blatt-Epidermiszelle (Eucyte), B = Bakterien (Protocyten) (nach Kutschera, U.:
J. Appl. Bot.
76, 96 – 98, 2002).
|288| Den mir hier und anderswo immer wieder unterstellten Satz »die Evolutionstheorie ist eine Tatsache«, habe ich nicht ausgesprochen oder gar publiziert. Ich habe jedoch wiederholt gesagt, dass die Evolution ein realhistorischer Prozess ist, der stattgefunden hat, andauert und mit naturwissenschaftlichen Methoden analysiert werden kann. Das historische Gewordensein der Organismen ist somit eine belegte Tatsache, die durch ein System verschiedener Theorien aus den Bio- und Geowissenschaften im Prinzip erklärt werden kann. Von »
der
Evolutionstheorie« ist, wie weiter unten dargelegt wird, innerhalb der Evolutionswissenschaften (
Evolutionary Sciences
) schon lange nicht mehr die Rede. Die Evolutionsprozesse sind derart komplex und vielschichtig, dass sie nur noch von Theorien-Systemen erfasst und plausibel gemacht werden können .
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Der Politologe, sein Kantor und die verborgene Welt der Mikroben
Das oben zitierte Politologen-Protestschreiben wurde in ähnlicher Form inzwischen im Internet publiziert. Gewichtiger sind analoge Worte, die ein ebenfalls in Berlin wohnender Kantor in der Zeitschrift
Bild der Wissenschaft
im Jahr 2006 in einem Leserbrief veröffentlicht hat. Als Antwort auf meine dort im Rahmen eines Interviews abgedruckte Aussage »Kreationisten pervertieren die Wissenschaft«, schrieb der Musiker das Folgende : »Die Evolutionstheorie als ›untermauerte wissenschaftliche Tatsache‹ zu bezeichnen, erinnert mich … fatal an meinen in DDR-Zeiten genossenen, ideologisch indoktrinierten Schulunterricht . Die Evolutionstheorie … baut nach wie vor in wesentlichen Teilen auf Vermutungen und Interpretationen auf. Ich wünsche mir … eine wirklich kritische Auseinandersetzung zu diesem Thema unter Einbeziehung neuer Erkenntnisse. Dabei würde … die Evolutionstheorie wieder zu dem werden, was sie ist: eben nur eine Theorie.« Dieser weitverbreiteten »Politologen-Kantoren(Soziologen- und Theologen)-Ansicht« sind die folgenden Argumente entgegenzusetzen.
|289| Eine wissenschaftliche Theorie ist keine unbegründete Vermutung, Spekulation oder gar ein Hirngespinst, wie man es umgangssprachlich auszudrücken pflegt (»Ich habe da eine Theorie …«). Naturwissenschaftler (
Scientists
) häufen nicht nur Befunde und Daten an, sondern wollen diese auch erklären. Umfassend begründete, auf Tatsachen (Dokumente, Experimente ) basierende, sich auf benachbarte Wissenschaftszweige stützende Erklärungen nennen wir
Theorien
(gesicherte Hypothesensysteme ). In der Formulierung wohlbegründeter Theorien liegt das eigentliche Ziel der naturwissenschaftlichen Forschung . Wir wollen letztlich die unsichtbaren, verborgenen, hinter den Einzelbefunden stehenden Dinge (d. h. die Zusammenhänge ) erkennen, verstehen und diese dann in Form von Modellen bzw. Theorien darstellen (Bunge und Mahner 2004, Mohr 2008).
Ein Beispiel aus meiner eigenen Forschungstätigkeit soll diesen Sachverhalt verdeutlichen. Wie die Abb. 10.1 zeigt, wurde unter Einsatz der Rasterelektronen-Mikroskopie entdeckt, dass auf der Unterseite gesunder, frischer Keimblätter junger Sonnenblumen unzählige Bakterien leben, die sich durch Zweiteilung vermehren. Diese
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