Tatsache Evolution
Freikörper-Badekultur (FKK) als »Naturalisten«. Mit ästhetisch-dogmatischen »Natürlichkeits-Lebensregeln «, die bis in die Öko-Welle des 21. Jahrhunderts reichen, hat unser Fachterminus allerdings nichts zu tun. Darwin, Wallace u. a. große
Scientists
waren Naturforscher , die gemäß einem Satz von Kant alle Vorgänge auf überprüfbare Naturtatsachen zurückgeführt haben – ohne Einbeziehung übernatürlicher Wirkfaktoren (Bunge und Mahner 2004, Mohr 2008). Dieses naturalistische Vernunftprinzip der Realwissenschaften ist als »ontologische Null-Hypothese« zu betrachten: Solange es keine Belege für das Wirken metaphysischer Kräfte (Götter, Geister, Designer) gibt, ignoriert der nach den Kausalzusammenhängen suchende Forscher diese »nur geglaubten« Entitäten. Da sich der Naturwissenschaftler ausschließlich auf das durch Dokumente und Experimente belegbare Faktenmaterial beruft, kann der Naturalismus auch als methodische Beschränkung auf das Nachweisbare definiert werden |58| (methodischer bzw. methodologischer Naturalismus). Bei Darwin (1859/1872) zieht sich der Begriff »facts« (Fakten, Tatsachen) wie ein roter Faden durch das lange Buch, wobei Interpretationen (Hypothesen, Theorien) folgen. Ausführliche Begründungen , warum der ontologische (bzw. methodische) Naturalismus weder eine Ideologie noch eine »Alternativ-Religion « ist, sind in den von A. Beyer und M. Neukamm verfassten Kapiteln im Sammelband Kutschera (2007 a) nachlesbar (s. auch den Anhang »Ist der atheistische Evolutionismus eine Ersatzreligion?« in der 2007 erschienenen 2. Auflage der Streitschrift Kutschera 2004).
Es ist allgemein bekannt, dass in den Naturwissenschaften das beobacht- und analysierbare Tatsachenmaterial immer detaillierter und umfassender wird. So hat man zu Beginn des 19. Jahrhunderts z. B. erkannt, dass mit Abwässern verschmutztes Flusswasser mit zahlreichen »Urtierchen« durchsetzt ist (Abb. 2.3). Diese Kleinstlebewesen wurden damals als »Infusorien« bezeichnet, ein heute nicht mehr gebräuchlicher Sammelbegriff, unter dem einzellige Algen, Amöben, Bakterien bis hin zu den Süßwasserpolypen zusammengefasst sind. Darwin geht in seinem Hauptwerk nur an wenigen Stellen auf diese Ur-Lebewesen ein. Heute wissen wir, dass die Bakterien bezüglich ihrer Biomasse die unsichtbare »Organismen-Mehrheit « ausmachen (Kutschera und Niklas 2004). Die Evolution der Organismen spielt sich somit auch heute noch im Wesentlichen auf dem Niveau sich vermehrender, mit unbewaffnetem Auge unsichtbaren Mikroben ab (s. Kapitel 10). Diese verborgenen phylogenetischen Entwicklungsprozesse werden weltweit u. a. im Rahmen der »Experimentellen Evolutionsforschung « analysiert, was Darwin nicht wissen konnte (Kutschera 2008 a).
Die Entdeckung neuer Kleinstlebewesen, die als Arten (bzw. bakterielle Ökotypen) in der Fachliteratur beschrieben werden, basiert oft auf Zufällen. Da der Zufallsbegriff in populären Diskussionen zum Thema Evolution eine große Rolle spielt, soll diese Thematik im nächsten Abschnitt behandelt werden.
Abb. 2.3: Entdeckung so genannter Infusorien (Mikroorganismen) im verschmutzten Wasser eines Flusses, ca. 1825. Zu Darwins Zeit war die Erforschung mikroskopischer Kleinstlebewesen noch unterentwickelt. Nachdem man die enorme Vielfalt der Mikroben (einschließlich der Bakterien) unter Verwendung immer besserer Mikroskope entdeckt und bekannt gemacht hatte, gab es die hier abgebildeten entsetzten Reaktionen (nach einem Stich von William Heath, der 1828 unter dem Titel
Das Wasser der Themse
veröffentlicht wurde).
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Zufall, Chaos und die Wahrscheinlichkeitsgesetze
Zufälle gibt es im Leben! Am 17. August 2007, als ich damit begonnen hatte, die ersten Notizen zu diesem Buchabschnitt zu sammeln, erschien in der
Stuttgarter Zeitung
ein Artikel mit dem Titel »Zufallsprodukt der Evolution – oder nicht?«. Dieser unqualifizierte, nicht weiter diskussionswürdige Beitrag gipfelte in der Bemerkung: »Es macht also einen Unterschied, ob wir uns als Zufallsprodukt der Evolution oder als Ziel eines Schöpfungsaktes verstehen. Eben deshalb muss weiter über den Darwinismus gestritten werden.« (In der Biologie streitet schon lange niemand mehr über »den Darwinismus«; zur Weiterentwicklung von Darwins klassischem Thesen-System zur modernen Evolutionsbiologie, s. Kapitel 3.)
|60| In der Woche, in der ich dieses »Zufalls-Unterkapitel« niedergeschrieben habe, war ich zu den »20. Bremer
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