Tatsache Evolution
Strukturen gebunden von Generation zu Generation weitergegeben (Abb. 3.7 B). Der Fruchtfliegen-Genetiker T. H. Morgan erkannte bald darauf, dass es im Zuge der sexuellen Reproduktion u. a. zu einem Chromosomen-Stückaustausch kommt (Abb. 3.7 C). All diese großartigen Erkenntnisse wurden dann einige Jahre später zu einer modernen Theorie der Evolution zusammengefasst. Es ist offensichtlich , dass Darwin von diesen zellbiologischen und genetischen Erkenntnissen seiner Nachfolger nichts wissen konnte.
Abb. 3.7: Keimbahn-Soma-Differenzierung und Vererbung bei Tieren, einschließlich des Menschen (A). Die von August Weismann (1882) formulierte Theorie der Vererbung postuliert eine frühe Trennung jener Zellen von der sterblichen Körpermasse (dem Soma), welche die Gameten (Spermien, Eizellen) hervorbringen. Dieses Konzept konnte durch zahlreiche Studien bestätigt werden . Gemäß der Chromosomentheorie der Vererbung (B) sind die Mendelschen Erbfaktoren auf den Chromosomen des Zellkerns lokalisiert. Während der Gametenbildungen (Reifeteilung, Meiose) kommt es zum Chromosomen-Stückaustausch (C). Die einzelnen Erbfaktoren (Gene) sind als Perlen auf Schnüren dargestellt.
Trotz der oben zusammengefassten Fortschritte (Abb. 3.7 A bis C) trat um das Jahr 1905 die Selektionstheorie immer mehr in den Hintergrund. Eine heute in Vergessenheit geratene, 1901 veröffentlichte
Mutationstheorie
der Artenentstehung enthielt die Kernaussage, dass sich neue Spezies in einem Schritt über |87| »Großmutationen«, ohne nachfolgende Selektion, herausgebildet hätten. Derartige »hopeful monsters« sollen dann – als überlegene Einzelorganismen – ihre Vorläuferformen verdrängt haben. Gemäß dieser Vorstellungen sollten z. B. auf einer Wiese einzelne Gänseblümchen zu Löwenzahnpflanzen mutieren und dann, gemeinsam mit einem anderen »Gänseblümchen-Monster «, die weißblütigen, kleinwüchsigen Vorläuferformen verdrängen. Diese auf fehlgeleiteten Beobachtungen basierenden Spekulationen konnten erst Jahrzehnte später als unzutreffend erkannt werden (Kutschera und Niklas 2008). Es sei allerdings hervorgehoben, dass es sehr wohl »einzelne« sprunghafte Evolutionsereignisse (Endosymbiose-Prozesse) gegeben hat, die in Kapitel 8 dargestellt sind. Weiterhin waren zwischen 1910 und 1930 Neo-Lamarckistische Vererbungs-Vorstellungen wieder populär und die Annahme eines unbelegbaren »Vervollkommnungs-Prinzps «, welches den Lebewesen beigegeben sein soll, wurde unter einigen Biologen ernsthaft diskutiert (Konzept der Orthogenese). Während dieser Jahre waren Darwins Werke weitgehend in Vergessenheit geraten.
Ein russisch-amerikanischer Freiland-Forscher und Labor-Genetiker , Theodosius Dobzhansky (1900 – 1975), war jene Schlüsselfigur, die Darwins und Weismanns Werke weiterentwickelte und der letztendlich zum Urvater der
Synthetischen
Theorie der biologischen Evolution
wurde. Sein Hauptwerk
Genetics and the Origin of Species
(1937) enthält eine über Darwin und Weismann hinausgehende Theorie der biologischen Evolution, die man als
Dobzhanskyismus
bezeichnen könnte. Die Ausformulierung der Synthetischen Theorie konnte aufgrund der komplexen Faktenlage jedoch nicht von einer Einzelperson erbracht werden: Dobzhansky war der wohl genialste Biologe einer Gruppe von Forschern (»The Big Six«), die als interdisziplinäres Team zwischen ca. 1930 und 1950 unser Bild von den Antriebskräften des Artenwandels revolutionierten (Details siehe Dobzhansky et. al. 1977, Futuyama 1998, Kutschera und Niklas 2004, Kutschera 2008 a, Junker 2004).
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|88| Evolutionsbiologie als Wissenschaftsdisziplin und Theorien-System
Der auf Käfersystematik (Schwerpunkt-Familie Coccinellidae) und Fruchtfliegen(Drosophila)-Genetik spezialisierte Naturforscher T. Dobzhansky ist heute fast nur noch durch einen 1973 publizierten Satz bekannt: »Nothing in biology makes sense, except in the light of evolution« (»Nichts in der Biologie ergibt einen Sinn, außer im Lichte der Evolution«). Dobzhanskys Funktion als »Haupt-Architekt« der Synthetischen Theorie wird nur selten erwähnt: So war z. B. siebzig Jahre nach Veröffentlichung seines Hauptwerks (Dobzhansky 1937) dieses Buch im deutschsprachigen Raum nirgendwo mehr verfügbar – ein Beleg für die »Wertschätzung« des Fachgebiets Evolutionsbiologie in unserem Land.
Die Synthetische Theorie basiert auf einer Serie von sechs Büchern (Dobzhansky 1937, Mayr 1942, Huxley 1942, Simpson 1944,
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