Tatsache Evolution
zwischen den Organismen verursachen). Charles Darwin suchte allerdings nach |84| einer rein natürlichen (biologischen) Ursache der Variabilität und formulierte nach langem Nachdenken seine »Provisional hypothesis of pangenesis« (»Vorläufige Hypothese der Pangenese «) (Darwin 1868). Diese vom Autor selbstkritisch auch als »Spekulation« bezeichnete Erklärung geht von der Annahme aus, dass alle Körperzellen kleine Einheiten absondern sollen. Derartige »gemmules bzw. pangenes«, auf Deutsch »Keimchen« oder »Pangene« genannte Körperchen, sollen sich, über den Blutkreislauf abtransportiert, in den Keimdrüsen zu den Geschlechtszellen vereinigen (Eier, Spermien) und somit vererbt werden. Durch Umwelteinflüsse (bzw. Gebrauch/Nicht-Gebrauch ) modifizierte Organe sollen gemäß dieser Vorstellung veränderte »Keimchen« sezernieren, also absondern. Mit dieser Hypothese konnte Darwin u. a. die von ihm akzeptiere Lamarcksche Annahme einer Vererbung erworbener Körpereigenschaften plausibel machen. Darwins »Keimchen-Spekulationen « wurde noch zu Lebzeiten des Autors kritisch überprüft – allerdings mit negativem Resultat. Da bis heute keine Belege für das in Abb. 3.6 veranschaulichte Szenario vorliegen, müssen wir diese Darwinsche Hypothese als experimentell widerlegte Spekulation bewerten. Die Defizite des von Darwin ausformulierten Selektionsprinzips (Theorie Nr. 5, s. Abb. 3.4) wurden noch zu Lebzeiten des britischen Forschers thematisiert und von verschiedenen Biologen innerwissenschaftlich diskutiert (auf die außerwissenschaftlichen Einwände der Kreationisten des 19. Jahrhunderts wollen wir hier nicht eingehen). Die Weiterentwicklung bzw. Korrektur des klassischen »Darwinismus « soll im folgenden Abschnitt dargelegt werden.
Der deutsche Zoologe und Zellbiologe August Weismann (1834 – 1914) war jene herausragende Forscherpersönlichkeit, die auf Grundlage einer Reihe wichtiger Monographien die
neodarwinsche
Theorie
zur Erklärung der Artentransformation im Tierreich begründet hat (da A. R. Wallace in seinem 1889 erschienenen Buch Weismanns Thesen vertiefend dargestellt und populär gemacht hat, gilt er heute als Mitbegründer des Neo-Darwinismus ). August Weismann formulierte drei bahnbrechende Hypothesen, die er durch umfassende Experimente und Dokumente (u. a. mikroskopische Bilder) belegen konnte:
|85| Erworbene Körpereigenschaften (z. B. Organverstümmelungen ) werden nicht vererbt;
Während der Entwicklung eines Tieres werden jene Zellen, die die Gameten (Eier, Spermien) bilden, früh abgesondert (»Keimplasma«), während die Körperzellen (das »Soma«) sterben (Keimbahn-Soma-Differenzierung; in Abb. 3.7 A ist dieser Sachverhalt in einer Großvater/Vater/Sohn-Generationenabfolge veranschaulicht; zum Vergleich sei auf den Mozart-Stammbaum in Abb. 2.2, S. 54 verwiesen).
Bei der zweigeschlechtlichen (sexuellen) Fortpflanzung entstehen variable (d. h. sich voneinander unterscheidende) Nachkommen, die in einem zweiten Schritt der natürlichen Selektion ausgesetzt sind (sexuelle Reproduktion als Variationengenerator der Evolution).
Mit der Begründung des
Neo-Darwinismus
durch A. Weismann (1892, 1904, A. R. Wallace 1889) war ein erster Schritt in Richtung einer modernen Theorie der biologischen Evolution der Tiere und des Menschen vollzogen (Kutschera 2008 a). Die Darwinsche Pangenesis-Hypothese (Abb. 3.6) war auf Grundlage von Weismanns Leistungen durch ein experimentell belegtes Konzept der Vererbung ersetzt, die Darwin-Lamarckschen Vorstellungen zur Vererbung erworbener Eigenschaften widerlegt . Insbesondere Weismanns Einsicht, dass die sexuelle Reproduktion als »Variationengenerator« fungiert, war ein »Quantensprung « in unserem Wissen bezüglich der Antriebskräfte des Artenwandels. Dieses neuartige Theoriensystem wurde um 1895 auch als
Weismannismus
bezeichnet (ein Synonym für die von A. Weismann formulierten Thesen bezüglich der Mechanismen der biologischen Evolution).
Wie bereits dargelegt, war der Zoologe Weismann auch Zellforscher (Cytologe). Seine Kollegen Theodor Boveri (1862 bis 1915) und Thomas H. Morgan (1866 – 1945) erkannten um das Jahr 1910, dass die »Mendelschen Erbfaktoren« (heute als Gene bezeichnet) auf bestimmten, im Zellkern lokalisierten, anfärbbaren fadenförmigen Strukturen lokalisiert sind, die als
Chromosomen
bezeichnet werden. Gemäß dieser
Chromosomentheorie
der Vererbung
werden die Merkmale des Individuums |86| somit an materielle
Weitere Kostenlose Bücher