Tatsache Evolution
folgt: »Nach der Theorie von den unabhängigen Schöpfungen (des Menschen und der Tiere) kann alles und jenes (Phänomen) gleich gut erklärt werden: In Bezug auf die Lehre von den Emotionen hat diese Ansicht sich als verderblich erwiesen, ebenso wie in Bezug auf jeden anderen Zweig der Naturgeschichte.« Darwin sagt in diesen Sätzen, dass die »Schöpfungstheorie« alles und somit nichts erklärt, während die von ihm begründete »Theorie der Deszendenz mit Modifikationen «, u. a. auf menschliche Emotionen bezogen, spezifische Sachverhalte logisch verdeutlichen kann. Darwins Kernthese im »Emotionenbuch« lautet wie folgt: »Beim Menschen lassen sich einige Formen des Gesichtsausdrucks, so das Sträuben der Haare unter dem Einfluss des äußersten Schreckens oder das Entblößen der Zähne unter dem der rasenden Wut, kaum verstehen, ausgenommen unter der Annahme, dass der Mensch früher einmal in einem viel niedrigeren Zustand existiert hat.« Anders formuliert: Nach Darwin können Gemütszustände nur im Lichte der Evolution verstanden werden.
Abb. 4.3: Gemütsbewegungen (Emotionen) beim Haushund (
Canis familiaris
). Ein ausgewachsener Hund nähert sich einem Artgenossen in abwehrend-feindseliger Absicht (A). Derselbe Hund in einer demütig-zuneigungsvollen Verfassung (B). Man beachte den jeweiligen Gesichtsausdruck des Haustiers (nach Darwin, C.:
The Expression of the Emotions in Man and Animals
. London, 1872).
Charles Darwin beginnt die umfassende Begründung seiner Emotionen-Theorie mit einer Beschreibung bzw. Analyse des Verhaltens seiner Haustiere. So geht er z. B. ausführlich auf die »Gemüts- und Seelenzustände« seines Hundes ein, der ihn auf seinen täglichen Spaziergängen begleitet hat (Abb. 4.3). Der wohl gehaltvollste Teil seines »Emotionenbuchs« besteht in einer Zusammenfassung von Beobachtungen an verschiedenen Affenarten (Orang-Utans, Schimpansen, Gibbons usw.) und Menschengruppen (Rassen bzw. Ethnien), die nicht aus Europa stammen. Die zuletzt genannten Untersuchungen hat Darwin zum Großteil von fremden Personen, denen er in der Einleitung seines Textes dankt, durchführen lassen (Auftragsforschung). Der in Darwin (1872) abgebildete »Schimpanse, enttäuscht und mürrisch daherblickend«, ist in unserer Abb. 4.4 unter dem Schlagwort »Aufregung«, ergänzt durch alternative Gemütsverfassungen , dargestellt.
Darwin weist darauf hin, dass diese Ausdrucksformen denen des Menschen äußerst ähnlich sind, und formulierte auf Grundlage dieser u. a. Befunde seine Kernthese, dass die Emotionen bei Mensch und Tier von gemeinsamen Vorfahren abstammen . Nicht nur die anatomisch-physiologischen Merkmale des Menschen lassen sich somit, wie in Darwins Werk |110|
Descent of Man
(1871) dargelegt, von affenähnlichen Urformen ableiten: Auch Verhaltensweisen und Gemütszustände sind nach Darwin (1872) ein Erbe der Evolution.
Noch bedeutungsvoller als diese vergleichenden Tier-Studien (Abb. 4.3, 4.4) war Darwins bereits erwähnte Auftragsforschung , die über einen von ihm entworfenen Fragebogen von reisenden Naturwissenschaftlern, Missionaren und Privatpersonen erledigt wurde. Eingeborene (»Wilde«) Menschengruppen in Australien, Neuseeland, Malaysien (Borneo), China, Indien, Ceylon und Afrika verfügen bezüglich ihrer Gesichtsausdrücke (Emotionen) dieselben, für Europäer typische Reaktionen. Alle Menschen der Erde, gleich welcher ethnischen Gruppe sie angehören, zeigen nach Darwin (1872) somit allgemein gültige Gefühlsäußerungen (Weinen, Lachen usw.), die wiederum jenen unserer nächsten Verwandten wesensgleich sind (Abb. 4.4). Darwin (1872) zog aus diesen tierpsychologischen Studien weit reichende Schlussfolgerungen: In der Zusammenfassung seines Werkes schreibt er sinngemäß, dass »alle wichtigen Ausdrucksweisen , über die der Mensch verfügt, über die ganze Erde dieselben |111| sind. Diese Tatsache … unterstützt die Annahme, dass die verschiedenen Rassen von einer einzigen Stammform abzuleiten sind, welche beinahe vollständig menschlich in ihrem Bau … gewesen sein muss«. Der Autor spricht weiterhin von »vererbten Ausdrucksformen« und begründete damit im Prinzip die Theorie von den angeborenen (biologischen oder evolutionären ) Wurzeln des menschlichen Verhaltens (Grundlage der Soziobiologie, Voland). In seinem bereits oben zitierten Werk zur Abstammung des Menschen (1871) formulierte der Biologe die These, dass der moderne Mensch aus Afrika stammen könnte.
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