Tatsache Evolution
Satz seines »Regenwurm-Buchs« (Darwin 1881) hebt der Biologe nochmals die Bedeutung dieser niederen Organismen im Verlaufe der »Geschichte der Welt« hervor und verweist dann auf noch primitivere Tiere – die Korallen. Diese festsitzenden (sessilen) Strudler hätten, wie die Regenwürmer, in der Erdgeschichte eine große Rolle gespielt, jedoch eine wesentlich unauffälligere Arbeit verrichtet: Die Korallen »konstruierten« unzählige Riffe und Inseln in den weiten Ozeanen der Tropen.
Der Geologe Charles Darwin publizierte 1842 ein Buch mit dem Titel
The Structure and Distribution of Coral Reefs
, das 1876 ins Deutsche übersetzt wurde (
Über den Bau und die
Verbreitung der Korallenriffe
)
.
In diesem Frühwerk formulierte Darwin eine Theorie zur Erklärung des Ursprungs der Korallenriffe, die in Fachkreisen sofort anerkannt wurde (Abb. 4.10). Um die Grundlage dieses einfachen Modells verstehen zu können, müssen wir zu Darwins Reisebeschreibungen zurückkehren . Im April 1836 besuchte das Team um Kapitän FitzRoy die tropischen Keeling(Kokos)-Inseln im Indischen Ozean. Diese Lagunen-Inseln (Atolle) waren seit Langem als ringförmige Korallenriffe bekannt, aber die Ursache für deren seltsame Form sowie ihre Entwicklungsgeschichte war unklar. Darwin (1839) beschreibt, er habe sich damit beschäftigt, »den sehr interessanten und doch einfachen Bau sowie die Entstehungsweise dieser Inseln zu untersuchen«. Diese Befunde wurden dann zum Kernpunkt seiner Theorie, die wie folgt zusammengefasst werden kann. Korallen (Blumentiere, Anthozoa) bilden Kalkskelette aus und können nur im warmen, klaren Flachwasser wachsen. Fossile Riffe, die Darwin bekannt waren, erreichen jedoch beachtliche Dicken, was im Widerspruch zur Flachwasser-Abhängigkeit dieser Meeres-Blumentiere steht. Diese Befunde erklärte Darwin (1842) mit einem Absinken des Meeresbodens: Die Korallen wachsen kontinuierlich mit, wodurch die oberen Schichten immer im Flachwasser bleiben und die notwendige Wärme erhalten (Abb. 4.10 A – C). Auf diese Weise entstehen nach der vielfach bestätigten Darwinschen |127| Meeresboden-Absenk-Theorie tropische Korallenriffe. Die in unserer Abb. 4.10 D abgebildete Steinkoralle
Madrepora
oculata
ähnelt bezüglich ihrer äußeren Form den tropischen Verwandten; sie ist aber eine Kaltwasser-Art, die Tiefwasser-Riffe ausbilden kann.
Was Darwin nicht wissen konnte: Die meisten tropischen Steinkorallen leben in einer Symbiose mit photosynthetisch aktiven Algen (Dinoflagellaten, auch Zooxanthellen genannt) und können daher nur im Licht durchfluteten, warmen Flachwasser wachsen (Kutschera und Niklas 2005). Auf diese Problematik (Symbiosen) werden wir in Kapitel 8 im Detail eingehen . Weiterhin wissen wir heute, dass infolge des Meeresspiegel-Anstiegs nach Ende der letzten Eiszeit ein Wachstumsschub tropischer Korallenriffe eingetreten ist. Durch Überflutung der vom Licht abhängigen oberen Korallenschichten wurde deren Wachstum kontinuierlich gefördert. Seit einigen Jahren sind die tropischen Korallenriffe durch Verschmutzung bzw. Versäuerung der Meere vom Niedergang bedroht. Der Mensch zerstört heute auch diese artenreichen Ökosysteme mit erstaunlicher Konsequenz, was Charles Darwin, der bei der Formulierung seiner Riff-Wachstumstheorie (1836 bis ca. 1840) noch bibeltreuer Christ war, vermutlich nicht »geglaubt« hätte.
Korallenriffe zählen neben den tropischen Regenwäldern zu den formenreichsten Ökosystemen unserer Erde. Auf den Riff-Kalken leben auch Darwins Lieblings-Meeres-Wirbellosen (Rankenfußkrebse, Cirripedia), die in Abb. 4.1 B neben dem erschöpften Naturforscher abgebildet sind. Mit dieser Bemerkung wollen wir unseren Rundgang durch Darwins wenig bekannte Theorien abschließen und uns, nach Kommentaren zur Selbst-Evaluation des Forschers, dem gleichnamigen Käferspezialisten (Coleopterologen) zuwenden.
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Darwins Selbsteinschätzung und der eitle Linnaeus
In Anbetracht der in den bisherigen Kapiteln dargestellten Leistungen des Naturforschers Charles Darwin als Geologe und Biologe (Mit-Begründer der Deszendenztheorie, Tiersystematiker,
Ab. 4.10: Darwins Meeresboden-Absenkungs-Theorie zur Erklärung der Bildung tropischer Korallenriffe. Saum-Riff (A), Barriere-Riff (B), Atoll mit Kokos-Palmen (C). Darwin erkannte in der langsamen Absenkung des Meeresbodens und dem gleichzeitigen Wachstum der Korallenstöcke in der warmen Flachwasserzone die Ursache der Riffbildung. L = Landzone einer
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