Tatsache Evolution

der Jahre vor der Russischen Revolution änderte Merezhkowsky seine progressive, den politischen Umsturz befürwortende Haltung und wurde zum Kollaborateur der Geheimpolizei des Zaren. Der inzwischen zum Professor an der Universität Kazan beförderte Merezhkowsky organisierte mit anderen Gesinnungsgenossen eine nationalsozialistische, antisemitische Vereinigung, das »Kazan-Department der Union Russischer Bürger«. Diese als politisch rechts eingestufte Organisation unterstützte den Zaren, wobei Merezhkowsky die Aufgabe hatte, Berichte über Umsturzpläne in der Bevölkerung zu verfassen und insbesondere Juden zu verfolgen. So wurde z. B. der Ichthyologe Levs Berg (1876 – 1950), Mit-Begründer der Limnologie in Russland, von Merezhkowsky in der Presse derart verunglimpft, dass dem Gelehrten jüdischer Abstammung die Berufung auf einen Lehrstuhl an der Universität Kazan verwehrt wurde.
    Im März 1914 verließ Merezhkowsky Russland, um während der Jahre des Ersten Weltkrieges (1914–1919) in Frankreich und |243| (ab 1919 bis zu seinem Tod) in der Schweiz zu leben. Die Ursachen für das plötzliche »Untertauchen« des Symbiose-Forschers waren weniger seine politischen Aktivitäten, sondern schwerwiegende Vorwürfe zu seinem Privatleben. Der »rechtsradikale Botanik-Professor« wurde am 26. März 1914 in der |244| politisch linken Zeitung
Den’
(Tag), die in St. Petersburg erschienen ist, als »Marquis de Sade von Kazan« bezeichnet und beschuldigt, er habe zwischen 1905 und 1914 insgesamt 26 minderjährige Mädchen sexuell belästigt (man berichtete von »Vergewaltigungen«, obwohl die Beweislage diesbezüglich unzureichend ist). Aus den zugänglichen Dokumenten kann abgeleitet werden, dass C. S. Merezhkowsky vermutlich pädophile Neigungen hatte. Seine plötzlichen Ortswechsel (1886 von St. Petersburg auf die Krim, 1898 Emigration in die USA), verbunden mit später entdeckten gefälschten Pässen, sind heute nur im Zusammenhang mit diesen mutmaßlichen pädophilen Aktivitäten zu verstehen. So soll er z. B. auf einem Bauernhof in Kalifornien, wo er zeitweise lebte und mit seinem Lichtmikroskop Diatomeen untersuchte, die 14-jährige Tochter des Farmers belästigt haben, ein Vorfall, der ihn zur Flucht nach Los Angeles veranlasst haben könnte.
    Abb. 8.5: Constantin S. Merezhkowskys Stammbaum-Diagramm, in dem eine Anti-Darwinsche, auf Symbiogenese basierende Theorie vom Ursprung der Organismen dargestellt ist. Alle fünf Vertreter der heute akzeptierten Organismenreiche sind in diesem grundlegenden Modell vertreten und wurden, in Kästen stehend, dem Originalschema beigefügt (nach Merezhkowsky, C. S.:
Biol. Centralblatt
30, 354 – 367, 1910).
    |244| Am 12. April 1914 wurde im Justizministerium von St. Petersburg der Kriminalfall Nr. 1303 eröffnet (abgeschlossen am 22. Februar 1917); am 28. April 1914 erfolgte dann die Anklage gegen Merezhkowsky in seiner damaligen Wohnstadt. Der Biologe wurde von seiner Position als »Ordentlicher Professor für Botanik der Kazan Universität« entbunden und bis 1917 als Mitarbeiter des Bildungsministeriums geführt. Der »untergetauchte « Naturforscher wohnte ab 1914 u. a. in Nizza, Menton und Paris, bevor er im Februar 1918 in die Schweiz übersiedelte . Dort lebte er äußerst bescheiden von ersparten Einkünften in einem Hotel, wo er seine bereits erwähnte dritte Endosymbiose-Publikation , die 1920 im Druck erschienen ist, verfasste . Merezhkowsky beklagte sich in Briefen darüber, dass seine Theorie von der Fachwelt ignoriert worden sei.
    Im Exil verfasste Merezhkowsky auch seine zweite Novelle, die 1920 unter dem (abgekürzten) Titel
Abriss einer neuen
Philosophie des Universums
im Druck erschienen ist. Seine erste Erzählung, die Phantasie-Geschichte
Das irdische Paradies
–
ein utopisches Märchen aus dem 27. Jahrhundert – erschien 1903 und wurde 1997 in einer Neuauflage verfügbar gemacht. Dieses Buch enthält Thesen zur Eugenik (Erbgesundheitslehre des Menschen), die an die Rasse-diskriminierenden, das jüdische |245| Volk verachtenden Aussagen des Diktators Adolf Hitler (1889 – 1945) erinnern.
     
    Armut und Selbstmord (1919 bis 1921
): In Frankreich und der Schweiz verbrachte der Biologe seine letzten Lebensjahre in großer Armut. Merezhkowsky wurde zum Spiritisten und vermengte in seiner letzten Endosymbiose-Publikation (1920) biologische Fakten mit kosmologischen Phantasien – er hoffte u. a., er würde zum »Retter der Menschheit« werden. In