Tatsache Evolution
politischen Schriften brachte Merezhkowsky seine Verachtung der Juden eindeutig zum Ausdruck. In einem Brief aus dem Jahr 1917 schrieb der im französischen Exil lebende Naturforscher sinngemäß das Folgende: »Ich dachte, ich würde noch fünf bis sechs Jahre lang leben können, aber jetzt ist klar, dass ich, wegen des Krieges, nur noch Geld für zwei Jahre habe.« Merezhkowsky verbrachte seine letzten Lebensmonate in einem kleinen Familienhotel in Genf. Am Sonntag, den 9. Januar 1921, beging der inzwischen völlig mittellose Biologe nach Begleichung der letzten Hotelrechnung in seinem Zimmer auf äußerst ausgeklügelte Art und Weise Selbstmord. In einem Nachruf, der in der Genfer Zeitung
La Suisse
am 11. Januar 1921 publiziert wurde, werden die genauen Umstände genannt: »In Raum 58, welchen er im Hotel gemietet hatte und wo er sich für viele Stunden zum Arbeiten eingeschlossen hatte, präparierte er eine bestimmte Chemikalienmischung, die Chloroform und mehrere Säuren enthielt. Dieses Giftgemisch schüttete er in einen Behälter, der über dem Kopfkissen des Bettes befestigt war. Er verschloss und versiegelte das Zimmer, band sich am Bett fest und führte sich die aufsteigenden tödlichen Chemikaliendämpfe über eine Gesichtsmaske, die mit dem Behälter per Schlauch verbunden war, zu.« Merezhkowsky starb einen qualvollen Erstickungstod in einer selbst konstruierten Gaskammer. Bald darauf entdeckte der Hotelportier »einen Brief unter der Tür des Professors«. In diesem, an den Hotelmanager adressierten Schreiben, warnte er davor, sein Zimmer zu betreten. Die Luft im Raum sei vergiftet. Es ist gefährlich, das Zimmer in den nächsten Stunden zu betreten. In einem Abschiedsbrief schrieb Merezhkowsky, er sei nun zu arm, um weiterzuleben |246| und hätte daher Selbstmord begangen (Sapp et al. 2002, Geus und Höxtermann 2007).
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Spiritistisch-kosmologische Visionen und Merezhkowskys Selbstmord-Pläne
Es ist wahrscheinlich, dass der brutale selbst verursachte Gas-Tod des 66-jährigen Merezhkowsky im Zusammenhang mit den späten spiritistisch-kosmologischen (möglicherweise auch antijüdischen) Visionen des Naturforschers zu sehen ist. So glaubte der Atheist Merezhkowsky z. B. an eine »Vergeistigung« des ganzen Universums, wobei die mechanische Energie desselben nach und nach in »psychische Energie« übergehen solle. Diese metaphysischen Glaubensinhalte sind in Merezhkowskys letzter und umfassendster Endosymbiose-Publikation aufgenommen , die nur wenige Monate vor seinem Freitod niedergeschrieben wurde (Merezhkowsky 1920). Ähnlich wie A. R. Wallace (s. Kapitel 1) hat auch Merezhkowsky in späteren Jahren seine strikt naturalistische Grundposition aufgegeben und irrationale , außerwissenschaftliche Glaubenssätze mit seinen Forschungsergebnissen vermengt. Diese spiritistischen Visionen in der 1920 publizierten Endosymbiose-Abschlussarbeit haben, analog zum »Fall Wallace«, die Glaubwürdigkeit des russischen Biologen massiv untergraben. Es ist wahrscheinlich, dass Merezhkowskys Fachkollegen die revolutionären Konzepte zum Ursprung der Chloroplasten und des Pflanzenreichs u. a. auch deshalb ablehnten, weil der Autor seine nüchtern-sachliche (d. h. naturwissenschaftliche) Argumentationsweise verlassen und »Geistergeschichten« in den Text aufgenommen hat (Merezhkowsky 1920).
Bereits im Januar 1909 hatte der 54-Jährige in seiner zweiten Veröffentlichung zur Symbiogenese einen fiktiven Selbstmord beschrieben. Unter der Überschrift »Zwei Plasmaarten« lesen wir im
Biologischen Centralblatt
das Folgende: »Eine Familie sitzt zu Hause am Mittagstisch. Nehmen wir an, es sei Sommer , … Milch, Fleisch, Eier, Brot, von welchen die Familie isst; die Kinder haben ihr Mahl beendet, laufen um den Tisch herum |247| , die Erwachsenen sind in ein lebhaftes Gespräch geraten, heftig mit den Händen gestikulierend. Die Stimmen werden immer lauter und lauter, es entspinnt sich augenscheinlich etwas wie ein Familiendrama, ein junges Mädchen läuft zum Schränkchen, entnimmt demselben ein Flakon – enthaltend Cyankali –, trinkt den Inhalt und fällt momentan tot hin« (Merezhkowsky 1910).
Diese Erzählung weist eindeutig auf Merezhkowskys lange geplante Selbst-Tötung hin. Manche Biologiehistoriker kommen daher zur Schlussfolgerung, Merezhkowsky hätte an einer schweren Geisteskrankheit gelitten, da ein normaler Mensch zu einer derartigen Tat nicht fähig sei. Eine abschließende Bewertung der
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