Tatsache Evolution
(Merezhkowsky 1905).
In diesen abschließenden Worten tritt wieder der Schriftsteller Merezhkowsky hervor. Mit seiner Vision vom grünen, Photosynthese betreibenden Raubtier hatte der Forscher rückblickend recht gesehen. Wir kennen Meeres-Nacktschnecken, die sich über das Algen-Fressen und intrazelluläre Einlagern von Chloroplasten zu grünen, »Solar-getriebenen« Tieren entwickeln . Diese photosynthetisch aktiven Meeresschnecken (z. B.
Elysia chlorotica
) haben ihre Befähigung zur Kohlendioxid-Assimilation einer speziellen Endosymbiose, die in den heutigen Meeren stattfindet und analysiert werden kann, zu verdanken (Kutschera 2008 a).
Wir werden auf die serielle Endosymbiose und deren Bedeutung für das Leben auf der Erde in den beiden nächsten Abschnitten zu sprechen kommen.
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Primäre und sekundäre Endosymbiose: Von der Kooperation zur Versklavung
Das Schicksal der von Merezhkowsky formulierten Theorie der »Evolution durch Integration und Kooperation« gehört zu den traurigsten Kapiteln der Biologiegeschichte. Obwohl Merezhkowsky (1905, 1910) den Ursprung pflanzlicher Chloroplasten |250| auf ehemals frei lebende Cyanobakterien zurückgeführt und der russische Biologe Wallin (1927) die Mitochondrien als Abkömmlinge gewisser Bakterien erkannt hatte, galt diese Theorie der Symbiogenese vielen Fachkollegen als zu revolutionär bzw. als reine Fiktion. Da die Argumente zugunsten dieses neuen Konzepts der Evolution nur indirekter Natur waren (Analogiebetrachtungen), hielt sich bis etwa 1975 eine alternative These: Zellbiologen setzten dem »Merezhkowsky-Wallin-Prinzip |251| « eine »Autogen-Bildungstheorie« entgegen, die von einer internen Differenzierung des Cytoplasmas ausging. Dieser Vorstellung gemäß sollten die Mitochondrien und Chloroplasten
de novo
in Organellen-freien Zellen in jeder Generation neu entstehen (Niklas 1997).
Abb. 8.6: Prinzipien der Phagocytose (A) und der primären Endosymbiose (B). Eine heute lebende Tümpel-Amöbe (Eucyte, mit Zellkern) umfließt drei Bakterien (Protocyten, ohne Zellkern), nimmt diese auf und verdaut die Beute. Bei der primären Endosymbiose (Symbiogenese) wurden im Zeitraum vor 2200 bis 1500 Millionen Jahren in analoger Weise frei lebende, urtümliche Bakterien (links) bzw. Cyanobakterien (rechts) von einer weiß bzw. grau dargestellten Wirtszelle aufgenommen, jedoch nicht verdaut (phagocytotischer Eukaryot). Die Mikroben wurden domestiziert bzw. versklavt (d. h. zu den Zell-Organellen Mitochondrion und Chloroplast reduziert). N = Nucleus (Zellkern), Bakt = frei lebendes Bakterium, Cyano = frei lebendes Cyanobakterium, Mito = Mitochondrion , Chloro = Chloroplast.
|251| Die aus Russland stammende US-Genetikerin Lynn Margulis (geb. 1938) hat 1970 das Symbiogenese-Konzept »wiederentdeckt « und als eigene Leistung in der Fachwelt verbreitet. Wie seit 1998 bekannt ist, hat Margulis die Publikationen ihrer russischen Vorgänger Merezhkowsky und Wallin gekannt, diese jedoch nicht zitiert und dieses Fehlverhalten erst nach vielen Jahren zugegeben. Möglicherweise hat Margulis die Schriften von Merezhkowsky ignoriert, weil dieser ein radikaler Juden-Hasser war und seinen Antisemitismus offensiv vertreten hat. Durch Wahl des von einem anderen Forscher geprägten Begriffs »Serielle Endosymbiose-Theorie« bzw. »Theorie der seriellen Endocytobiose« hat Margulis (1970) verdeutlicht, dass die Mitochondrien und Chloroplasten nacheinander (d. h. seriell) aus eingewanderten kernlosen Mikroben (Protocyten) hervorgegangen sind. Leider ist die Biologin Margulis u. a. in einem ihrer populären Bücher von einer sachlich-rationalen Ebene abgewichen und hat die Endosymbiose als alleinigen, übergeordneten Artbildungs-Prozess propagiert (Margulis und Sagan 2002). Diese nicht durch Fakten belegbare Hypothese wurde von Kutschera und Niklas (2005) widerlegt und soll daher nicht weiter diskutiert werden.
In Abb. 8.6 A ist die Nahrungsaufnahme einer sich heterotoph ernährenden Amöbe dargestellt (Phagocytose). Die Nahrungspartikel (Bakterienzellen) werden von der kernhaltigen Wirtszelle (Eucyte) abgebaut und somit verdaut. Wie bereits Merezhkowsky (1905, 1910, 1920) hervorgehoben hat, gibt es Einzeller, die in analoger Weise Cyanobakterien in ihr Cytoplasma aufgenommen haben, diese über Generationen hinweg als »Dauergäste« vererben und kultivieren (grüne, photosynthetisch aktive Tierzellen, s. Abb. 8.8 A, B). Auf ähnliche Art und Weise stellt man sich gemäß der
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